Kalter Asphalt – Kapitel 19 Outtake (Schwarzlichter)
Anmerkung: Mein ursprünglicher Entwurf für Kapitel 19, den ich aber frühzeitig ersetzt habe. Grund: Im Roman kommen erwachsene Figuren so gut wie nie zu Wort – dem musste sich auch diese Szene beugen.
Es klopfte. “Herein”, rief sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. Sie programmierte an einem kleinen Widget für Linux, einer grafischen Darstellung ihrer SETI-Daten, kam aber nicht weiter. Die Diagramme stimmten absolut nicht.
“Die NASA ist dran, sie haben Leben auf dem Mars gefunden.” Ihr Vater stand in der Tür, das Telefon in der Hand.
“Sehr witzig. Die hatten letzte Woche schon mal angerufen.”
“Dieses Mal ist es ernst. Eine Sensation!”
“Wer ist es?”
Er machte ein ehrfurchtsvolles Gesicht: “Ein Junge! Wurde bei Ausgrabungen entdeckt und aufgetaut. Er ist dir jetzt live zugeschaltet.”
Lena rollte auf ihrem Bürostuhl heran. “Gib schon her.”
“Dabei fällt mir ein, du hast nicht zufällig meine neuste Ausgabe von Science? Du weißt, dass Väter die als erster lesen wollen.”
Sie deutete auf einen Stapel von Zeitschriften, der neben dem zweiten Schreibtisch stand. “Oben drauf. Ist ein interessanter Artikel über schwarze Löcher drin.”
“Vielen Dank.” Ehe er endlich ging, blieb er an dem Helm aus Alufolie stehen, an dem sie bastelte. “Der schützt nicht nur gegen kosmische Strahlung, sondern auch gegen Jungswellen. Setz ihn lieber auf.”
Lena verdrehte die Augen. “Nur nicht gegen abgehobene Papas. Hallo, wer ist dran?” Es war nicht die NASA, sondern Nick. Der stotterte und klang ziemlich nervös. “Hey, schön, dass du mal anrufst. Das war nur mein Vater, der meldet sich gerne so am Telefon. Ordnungsamt ist noch harmlos, manchmal antwortet er auch mit Klapsmühle Seeblick oder so. Physiker sind komisch. Was gibt es?”
Er redete wie ein Wasserfall. “Du hast dich verirrt? Kein Problem. Warte, ich muss an den anderen Rechner. Bin gerade am Programmieren. Nee, du störst nicht. Kam gerade eh nicht weiter.” Sie schaltete den Laptop auf dem zweiten Arbeitstisch ein. “Hast du einen Straßennamen und eine Hausnummer? Super. Schollsbrücke, okay.” Mit googlemaps hatte sie beinahe sofort seinen Standort. “So, ich hab dich auf dem Schirm. Du bist nicht in Efferen, sondern in Stotzheim. War da ein Flüsschen, über das du musstest? Genau. Jetzt schau mal, irgendwo muss eine Abzweigung in den Frielsweg sein. Den gehst du nach links.” Sie wechselte in die Luftbildansicht der Karte, dann wieder zum Plan. “Ist ein Stückchen bis zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Welche ist dir lieber, Marsdorf oder Hürth Hermülheim?” Gleichzeitig rief sie die KVB-Fahrpläne auf. “Dann nimm lieber die 18. Bist an der nächsten Kreuzung? Sollte eine größere Straße sein, Horbeller, genau. Nach links und immer geradeaus. Die führt dich geradewegs auf die Luxemburger. Du kommst am Bundessprachenamt vorbei, dass muss sich linkerhand befinden. Über die Luxemburger in die Böckler und du bist fast da. Beeil dich lieber, die nächste Bahn fährt in zehn Minuten. Ruf mich an, wenn du in der Bahn bist, okay? Bis gleich.”
Hoffentlich schaffte er es. Die nächste Linie 18 fuhr erst sehr viel später. Sie rief ein Wetterwidget auf und gab die Postleitzahl von Hürth ein. Immerhin regnete es gerade nicht.
Wieder klopfte es. Diesmal war es ihre Mutter. Um ihren Hals baumelte ein neuer Kristalltalisman. “Kann ich das Telefon wiederhaben?”
“Ich bringe es gleich raus, jede Minute kommt noch ein Anruf für mich.”
“Und?” Ihre Mama lächelte.
“Was und?” Lena seufzte leise. “Ihr sollt nicht so neugierig sein. Es ist nur ein Freund.”
“Oh …” Ihre Mutter zog viel sagend die Augenbrauen in die Höhe. “Ich spüre einen mächtigen Liebeszauber.” Damit schloss sie die Tür.
“Eltern!” Lena zog eine Grimasse. Jetzt musste er die Bahn erreicht haben. Was der um diese Uhrzeit da draußen machte? Endlich klingelte es. “Hallo?”, rief sie laut in den Hörer. Er war es. “Du sitzt in der Bahn. Super. Da bin ich erleichtert. Du musst mir morgen erzählen, was passiert ist, in Ordnung? Wir können uns wieder vor den Biologieräumen treffen. Zweite Pause, alles klar. Komm gut nach Hause, ja? Und schlaf gut!” Dann legte sie auf.
Zeit, selbst ins Bett zu gehen, programmieren konnte sie auch noch morgen. Ihr stand der Sinn ohnehin nicht mehr nach SETI-Daten und Kommandozeilen. Lena ertappte sich dabei, wie sie vergnügt vor sich hin summte. So was …
Na, Nick hatte ja auch sie angerufen. Nicht Peggy oder Marie. Da konnte man schon ein bisschen summen.