Texte

4, 3, 2, …

Die Finger schlugen einen unruhigen Takt auf dem schwarzen Leder des Lenkrades. Sie waren kräftig, im aschgrauen Licht der Straßenlaterne wirkten die dünnen Haare darauf wie feine Drähte. Sie trommelten eine Melodie, steigerten sich in sie hinein, um jäh abzubrechen, einen Moment reglos in der Luft zu hängen und resigniert auf das Steuer zu schlagen. Gleich darauf begannen sie mit einem neuen Lied, nur um bald wieder den Takt zu verlieren, zu zögern und neu anzusetzen.
Sie verursachten kaum Lärm dabei, nur matte, dumpfe Geräusche.
Plötzlich hielten sie inne, eingefroren in der Bewegung.

Hinter dem Fenster im obersten Stock war ein Schatten aufgetaucht. Im warmen Licht zeichnete sich der Umriss einer Frau ab. Sie war mittelgroß, trug das Haar hochgesteckt und ließ die Arme kraftlos herabbaumeln. Einige Zeit blieb sie am Fenster stehen, beobachtete die verlassene Straße, um sich dann wieder zurückzuziehen.

Die Finger nahmen den Takt erneut auf, trommelten eine leise, euphorische Melodie, um sie bald darauf wieder zu verlieren.

Es waren grobkörnige, unscharfe Eindrücke, deren Grau an fade Erinnerungen denken ließ. Der Winkel der Aufnahme war extrem, eingefangen von einer Kamera unter der Decke eines langen, kahlen Flures. So bekamen die Bilder etwas fiebriges, beunruhigendes, das noch durch das Fehlen jeglicher Tonspur verstärkt wurde. Eine geräuschlose, verzerrte Abfolge graustichigen, unscharfen Wartens.

Der Gang gehörte zu einem Keller, es gab weder Fenster noch Tapete an den Wänden. Weiße Farbe und dumpfer PVC-Boden, getaucht in das gefühllose Licht der Neonröhren. Am Ende des Flurs befand sich eine schwere Metalltür mit einer verschlossenen Sichtklappe.

Plötzlich tauchten zwei Gestalten am unteren Rand des Bildes auf. Der Blick von hoch oben machte es schwierig, sie deutlich zu erkennen. Es waren zwei kräftige Männer in dunklen Anzügen, die eiligen Schrittes den Gang durchquerten. Ihre Köpfe waren dabei eigenartig verzerrt, zu groß für ihre Körper.

Der kleinere der beiden fischte mit der linken Hand etwas aus seiner Tasche, in der anderen hielt er eine schwere Automatikpistole. Hektisch schob er einen Schlüssel ins Schloss der Tür.

Der andere Mann stand neben ihm, den Arm mit seiner Pistole gehoben, als die Sichtklappe in der Tür geöffnet wurde. Er zog die Waffe etwas in die Höhe, brachte den Lauf dicht an das Guckloch und drückte ab.

Im gleichen Augenblick stieß sein Partner die Tür auf. Sie schwang nur zur Hälfte nach innen, dann blockierte sie. Die beiden Männer stürmten hinein.

Die grauen Bilder brachen ab, einige Augenblicke beherrschte Schwärze die Szene, dann flackerten sie wieder auf.

Nun war ein großer Raum zu sehen, den die Kamera von ihrer Position unter der Decke einfing. Von oben blickte sie auf zwei wuchtige Tische, ein paar Stühle und die schwere Metalltür herab. Die Aufnahme war noch immer grau und grobkörnig, aber schärfer als die vorangegangene.

An den Tischen saß jeweils ein Mann im weißen Hemd, ein Clipboard vor sich, daneben eine kleine Pappschachtel und Geld. Viel Geld. Aufgehäuft lagen Banknoten in der Mitte der Tischplatten. Die Männer griffen immer wieder in die kleinen Geldberge, zählten Scheine zu ordentlichen Bündeln ab, versahen sie mit einer Banderole und legten sie in eine Metallkiste neben sich. Dabei machten sie sich Notizen.

Neben der Tür stand ein bulliger Wächter in schwarzer Kleidung, ein Schulterhalfter über dem Rollkragenpullover. An einem der Tische saß ein weiterer, abgesehen von seiner Glatze beinahe eine genaue Kopie des ersten.

Einige Momente lang änderte sich nichts an diesem Bild. Die beiden Männer in den weißen Hemden zählten das Geld, die beiden Wachleute beobachteten sie gelangweilt.

Dann erregte etwas die Aufmerksamkeit des Türstehers. Er stieß sich von der Wand ab und trat vor die Tür. Seine Hand fuhr an das Schulterhalfter, ohne jedoch die Waffe zu ziehen. Sein Partner hob den Kopf, schaute zu ihm herüber, ohne sich weiter zu regen.

Mit der Linken zog der Wächter die Sichtklappe auf, näherte sein Gesicht der Öffnung, um hinauszusehen. Im nächsten Moment wurde sein Kopf in eine dunkle Wolke eingehüllt, ruckte heftig zurück, dann fiel er schwer zu Boden.

Die Tür wurde aufgestoßen, prallte auf halbem Weg gegen den leblosen Körper.

Zwei Personen stürmten in den Raum, Automatikpistolen im Anschlag. Über ihre Köpfe hatten sie Masken gezogen. Stan Laurel und Oliver Hardy, breit grinsend, eine gewisse Beschränktheit in den wächsernen Zügen.

Stan hielt den zweiten Wachmann in Schacht, der aufgestanden war, die Hand am Knauf seiner Waffe. Oliver gab seinem Partner Deckung, bedrohte die beiden übrigen Männer. Sie hoben widerwillig die Arme in die Höhe, starrten das Komikerduo ungläubig an.

Laurel umrundete einen der Tische, trat hinter den Wachmann, seine Hand streckte sich nach der Waffe im Schulterhalfter aus, aber ehe er sie ergriff, schmetterte er dem Kahlköpfigen den Knauf seiner Automatik in den Nacken. Der Mann wankte. Ein weiterer Schlag traf ihn und er brach über dem Tisch zusammen. Stan nahm dem Bewusstlosen die Waffe ab und ließ sie in die Tasche seines dunklen Anzugs gleiten.

Die beiden Männer in den weißen Hemden schreckten bei jedem Hieb zusammen, starrten nun wie hypnotisiert auf den Lauf der Automatik, mit der ihnen Olli zu verstehen gab, aufzustehen und sich an die Wand zu stellen.

Laurel steckte seine Waffe ein und begann damit, die unsortierten Geldscheine in die Metallboxen zu stopfen. Er arbeitete schnell, aber keineswegs hektisch. Als er fertig war, ging er zum Nebentisch und sammelte auch dort das Geld ein.

Sein Partner behielt die beiden Weißhemden und die Eingangstür im Blick. Auf Stans Zeichen hin trat Olli schließlich hinter die beiden Männer. Einer von ihnen wandte sich verängstigt nach dem sich nähernden Gangster um, dann krachte die Pistole gegen seinen Schädel und er sackte zusammen. Mit einem weiteren Schlag ging auch der andere Mann besinnungslos zu Boden.

Stan, die klobige Geldkassette unter dem Arm, die Automatik wieder in der Hand, verließ eiligen Schrittes den Raum, Oliver dicht hinter sich.

Wieder wurde die Bildfolge von tiefer Schwärze unterbrochen. Einige Sekunden glitten graue Linien darüber, dann erschien erneut die grelle, graue Aufnahme des Flures. Zwei Komikerfiguren gingen hastig den Gang hinab, Pistolen in den Händen, eine Metallkiste unter Stans Arm. Die beiden überzeichneten Gesichter lächelten in liebenswürdiger Stupidität.

Benny Conrads saß auf der Toilette, als der Lärm losbrach.
Es war eine schmale, schäbige Nasszelle mit verschmutzten und gesprungenen Kacheln, einer nackten Glühbirne an der hohen Decke und einer verdreckten, deckellosen Klobrille. An der Wand klaffte eine offene Wunde im Verputz, wo das Spülbecken herausgebrochen war. Die weiße Farbe über den Fliesen hatte im Laufe der Zeit zu einem miesen Gelb gewechselt, das an dünnen Urin erinnerte. Am Lüftungsgitter sammelten sich schwarze Staubflocken.

Benny hockte auf der wackligen Klobrille, in der Hand ein abgegriffenes, speckiges Hochglanzmagazin. Seine kleinen Augen wanderten gleichgültig über die Fotografien, während er gelangweilt an einer zerknautschten Zigarette sog, deren Rauch sich nur zögerlich auflöste.

Er war ein kräftiger Mann Ende der Dreißig, mit einer breiten, behaarten Brust unter dem durchschwitzten Unterhemd und kurzen, dicken Armen, die überzogen waren mit drahtigem Haar und unruhigen Tätowierungen.

Sein Gesicht war grob, die Züge wirkten unbehauen und kantig. Die Nase war zu breit und um seinen kleinen Mund lag ein brutaler Zug.

Gelegentlich fluchte er leise vor sich hin, teils aus Gewohnheit, teils weil ihm das Abendessen in den Gedärmen rumorte. Benny fluchte viel und gern, auf alles und jeden, insbesondere auf die dreckigen Bullen, den korrupten Staat, die habgierigen Juden und die verblödeten Kanaken, bei denen er Unterschlupf bezogen hatte. Es war eine verlotterte, verhurte Familie mit bekifften Männern und keifenden Weibern, die nur den Mund hielten, wenn man es ihnen besorgte.

Benny grinste abfällig, dann seufzte er erleichtert und griff nach der Rolle Toilettenpapier, die vom Wasser auf dem Boden aufgequollen war. Wasser oder eine andere Flüssigkeit, dachte er angewidert.

Vom Flur drang ein lautes Krachen zu ihm herein. Das Splittern von Holz, schwere Schritte auf den ausgetretenen Dielen. Das Kreischen einer Frau, das abrupt endete, nachdem es ein dumpfes Klatschen gegeben hatte.

Die Schritte verteilten sich in der Diele, viele Paare schwerer Stiefel, die über den Boden stampften. Weitere Türen wurden aufgetreten. Wieder Kreischen, eine Frau und aufgebrachte Männerstimmen, danach nur noch leises, wimmerndes Murmeln. Das Knacken eines Funkgerätes.

Benny fluchte, presste die schmutzigen Worte jedoch tonlos über seine dünnen Lippen. Er ließ die Rolle los. Sie glitt aus seiner Hand und rollte sich bis zur Wand auf. Das Pornoheftchen warf er von sich und griff nach seiner Hose, die lose um seine Knöchel hing. Er hatte einen Augenblick lang Mühe, die schwere Automatik zu ziehen, sie verhedderte sich in der Hosentasche. Dann war sie in seiner Hand. Er hielt den Atem an, die Mitte der dunkelgrünen Tür im Visier.

Es war eine 44er Automatik, deren Gewicht beruhigend auf Benny wirkte. Die Leute behaupteten, eine solche Waffe sei nur etwas für Möchtegernganoven, die zu dumm waren, mit einem handlicheren Kaliber tödlich auszuteilen. Benny fluchte auf die Leute. Die Pistole war so tödlich wie die meisten anderen. Und sie machte was her. Zudem waren ihre Patronen mit viel Sorgfalt an ihren Spitzen eingekerbt worden. Benny grinste boshaft. Ihre Löcher waren nicht zu verachten.

Im Flur wurde es still. Er vernahm hastige, leise Schritte, irgendwo weinte eine Frau. Vergeblich versuchte er herauszuhören, wie viele es waren.

Ihm brach der Schweiß aus, seine Ohren brannten. Er erhob sich lautlos, ohne auf seine Blöße zu achten. Das Blut rauschte in seinem Schädel. Wie gebannt fixierte er die Tür. Sein Finger krampfte sich um den Abzug. Für einen Moment dachte er daran, aufzugeben. Und dachte an den toten Wachmann und den Knast. Er fluchte.

Eine tiefe, raue Stimme rief seinen Namen, forderte ihn auf, mit erhobenen Händen hervorzukommen. Die Worte des Mannes brachen unter dem Lärm der 44er ab.

Benny zog den Abzug durch, bis der Ladestreifen leer war, verteilte große Löcher quer über die Mitte der Tür, die sich im nächsten Moment vermehrten, als die Polizisten auf dem Flur das Feuer erwiderten.

Holzsplitter, Putz und Keramikscherben wurden aufgewirbelt und hüllten ihn ein. Sein Körper zuckte wie eine Marionette, als ihn die ersten Kugeln trafen. Benny schrie auf, ein wenig überraschte ihn die Heftigkeit des Schmerzes, ehe ein Geschoß seinen Unterkiefer zertrümmerte. Er taumelte zurück, krachte gegen den Toilettenkasten und brach in einer Mischung aus Schmutz, Wasser und Blut zusammen.

Benny Conrads war tot, noch ehe er ganz auf dem Boden aufschlug. Das letzte, was er sich fragte, war, ob er ein paar der Kerle mitgenommen hatte.

Die einzige Helligkeit im Raum ging von dem kleinen, billigen Fernseher aus, unter dem leise ein Videogerät surrte. Das trübe, graue Licht versetzte die Wände in flackernde Bewegung, ließ die Einrichtung des engen Büros jedoch in schattenhafter Unschärfe.

Einer der Beamten saß auf einem ungemütlichen Stuhl, die Beine übereinander geschlagen, die dunkelgrüne Krawatte gelockert. Sein Gesicht war bleich, dunkle Ringe lagen unter seinen meerblauen Augen und seine Mundwinkel deuteten nach unten. Seine Finger hielten eine Tasse Kaffee, deren kalten, süßen Inhalt er gelegentlich musterte, kreisen ließ, um dann wieder auf den Bildschirm zu blicken.

Hinter dem Schreibtisch befand sich ein weiterer Mann, dessen Umrisse nur flüchtig vom Licht des Fernsehers aus der Dunkelheit gezogen wurden. Er war kleiner als der andere und saß in seinem Bürostuhl zurückgelehnt da, eine Fernbedienung in der Hand, mit der er selten einmal die Aufnahme anhielt oder zurücklaufen ließ.

“Ich habe nicht das Gefühl, dass uns das noch irgendwie weiter bringt”, seufzte der Beamte mit der Kaffeetasse in der Hand. Er räkelte sich müde und ließ dabei kalten Kaffee auf seine Finger schwappen. “Ich träume schon in Sicherheitsvideos. Lass uns Schluss machen, Daniel.”

Daniel Welb fror die Bewegung auf dem Fernseher mit einem Knopfdruck ein. Stan und Olli grinsten mit dümmlichen Gesichtern in die Kamera. Dann schaltete er die Lampe auf seinem Schreibtisch ein, zerrieb damit das Halbdunkel, das sich um ihn eingenistet hatte. Die Helligkeit ließ die beiden Männer blinzeln.

“Willst du noch einen, Peter?” Er deutete auf die Kaffeemaschine zwischen dicken Büchern in einem Regal.

Peter Far schüttelte den Kopf und legte abwehrend die Handfläche auf seine Tasse. “Hab schon zu viel davon.”

Nachdenklich wanderte Welbs Blick zum Fernseher zurück.

Sein Kollege seufzte. “Lass es gut sein, Daniel. Wir haben das Band wieder und wieder gesehen.”

“Du hast ja Recht.”

“Dass du Benny Conrads darauf identifiziert hast, war schon verdammtes Glück.”

“Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn noch einmal in Aktion sehe.”

“Du hast ihn damals eingebuchtet, nicht wahr?”, fragte Far, der die Antwort bereits kannte.

“Man fand Diebesgut bei ihm.”

“Aber ihr wolltet ihn wegen eines Raubüberfalls festmachen.”

Welb starrte auf eine Akte vor sich auf dem Tisch. “Die Beweise hielten nicht Stand. Ein Zeuge ist abgesprungen.” Er spreizte die Finger. “Wir haben ihm nur Hehlerei und Körperverletzung nachweisen können. Dabei hat er mindestens zwei Leute auf dem Gewissen.”

“Jetzt sind es drei. Der Einsatzleiter ist heute Nacht gestorben.”

Der andere nickte langsam. “Die haben ein psychologisches Gutachten von Benny erstellt. Er war eine tickende Zeitbombe. Die haben ihn dennoch herausgelassen.” Seine Hand glitt über einige Schwarzweißaufnahmen. “Die haben ein verdammtes Sieb aus dem guten Benny gemacht.”

Far zuckte die Schultern. “Ihnen blieb keine große Wahl. Lebend wäre er uns lieber gewesen, was?”

“Ich bezweifle, dass er ausgepackt hätte.”

“Ich glaube es auch nicht, Daniel.”

Sie sahen wieder zum Standbild hinüber. Die zwei Komikergesichter flackerten leicht.

“Möchte wissen, wer sein Partner war. Der hat jetzt eine verdammte Million.”

Far spitzte anerkennend die Lippen, dann nickte er, als hätte ihn die Zahl hypnotisiert. “Eine Million!”

“Mindestens.”

“Meinst du, es war mehr? Singers Laden ist doch sauber.”

Welb rieb sich skeptisch über das Kinn. “So sauber wie jede andere Wäscherei.”

“Wenn er das hört, wird er dich verklagen.”

“Ist ja nicht offiziell.”

Sie schwiegen einige Zeit. Daniel Welb betrachtete nachdenklich das graustichige Bild von Stan und Olli. Dann ließ er den Blick hinüber zum Fenster wandern, hinter dem sich schwere Wolken in der Nacht balgten. Der Mondschein war so blass und bleich wie ein mottenzerfressenes Leichentuch.

“Was glaubst du, woher die beiden den Schlüssel hatten, um sich Zutritt in den Keller zu verschaffen?” Far sah seinen Kollegen nicht an, sondern hielt die Augen geschlossen, als wäre er kurz davor, einzuschlafen.

“Wenn wir das wüssten … Singer besitzt einen, Mauritz, seine rechte Hand, ebenfalls. Beide Schlüssel sind noch da, beide kommen als Täter oder Mittäter nicht in Frage. Die würde niemals ihren eigenen Laden überfallen und einen Wachmann niederschießen.”

“Damit es echter aussieht?”

“Singer ist kein Killer.”

Far seufzte leise. “Da hast du Recht. Vielleicht war einer von beiden ein unwissentlicher Mittäter? Womöglich hat sich jemand einen Nachschlüssel machen lassen?”

“Was ist mit den anderen Angestellten? Kommt einer von ihnen in Frage?”

“Wir überprüfen das noch.”

Daniel Welb erhob sich, strich sich die Hose glatt und griff nach der Fernbedienung. Seine Hand hob sich, aber er betätigte sie noch nicht. “Stan und Olli …” Er schüttelte den Kopf. “Das ist nicht einmal ein guter Witz.” Das Bild erlosch.

Die Finger hielten darin inne, unvollständige Melodien zu trommeln und fischten eine Packung Kaugummi von der Ablage. Sie zogen einen Streifen hervor, befreiten ihn umständlich aus seinem Silbermantel und führten ihn zum Mund. Dann kehrten sie zum Lenkrad zurück, lehnten sich darauf, um das Silberpapier zu falten. Sie gingen dabei ohne genaues Ziel vor, legten es zu einem winzigen Viereck zusammen, entwirrten es, strichen es glatt und begannen von neuem.

Das Licht des Scheinwerfers zerschnitt die neblige Dunkelheit zwischen den alten Lagerhallen. Die baufälligen Gebäude ragten wie bedrohliche Schatten an den Rändern des Strahls auf, der sich unruhig über den feuchten Asphalt schob. Das leise Dröhnen des Motors hallte verzerrt von ihnen wieder, als sich das Motorrad langsam näherte. Die Helligkeit tastete sich vorsichtig vorwärts, strich über das glänzende Metall einer Karosserie, fraß sich daran fest. Es war ein schwarzer Honda, der einsam vor einer der Hallen stand.

Das Motorrad hielt und Streifenpolizist Eddy Weiler stieg ab. Er klappte das Visier seines Helmes hoch und sah skeptisch zu dem geparkten Wagen hinüber. Schließlich griff er nach dem Funkgerät, um eine kurze Meldung und seinen Standort durchzugeben, dann zog er die Taschenlampe aus seinem Gürtel und ließ sie aufflammen. Er hielt sie in der Linken, die Recht hingegen lag auf dem Griff seiner Dienstpistole, als er sich langsam dem Honda näherte.

Der Strahl der Lampe tastete sich über den schwarzen Lack, erfasste die leeren Vordersitze und blieb an einem Umriss auf der Rückbank hängen.

Weiler begann zu schwitzen, salzige Perlen standen auf seiner Stirn. Seine Zunge glitt nervös über seine trockenen Lippen.

Er löste den Riemen, der die Waffe im Holster hielt, und legte die Hand wieder an die Automatik. Dann trat er entschlossen näher, richtete den Lichtkegel auf den Rücksitz.

Die Helligkeit zog eine Gestalt aus dem Dunkel, einen reglosen Körper im schwarzen Anzug, der in der Ecke zwischen Tür und Sitzpolster lehnte. Ein bleiches, fratzenhaftes Gesicht starrte Weiler entgegen. Ein zu einem überzogenen, grotesken Lächeln verzerrter Mund, eine kleine Nase und leere, schwarze Augen.

Der Polizist zuckte zurück. Sein Herz tat einen schmerzhaften Satz in seiner Brust und die Lampe in seiner Hand begann so heftig zu zittern, dass das Gesicht wieder in den Schatten der Nacht verschwand.

Im Wagen regte sich nichts.

Weiler kam wieder zu Atem, er zitterte noch immer, sammelte seinen Mut und richtete die Taschenlampe wieder auf die bewegungslose Gestalt. Seine Kehle war ausgetrocknet, sein Puls rauschte in seinen Ohren, während er den klebrigen Schweiß unter seinen Armen spürte.

Der Lichtkegel tastete sich nun direkt zu dem abstoßenden Gesicht vor und verharrte darauf.

Der Beamte fluchte laut und sein verkrampfter Griff um die Waffe löste sich.

Es war eine Maske. Das fahlweiße Gesicht eines Komikers. Ein breites, stupides Grinsen im länglichen Gesicht, zugekniffene, schmale Augen über einer kleinen Nase und einem winzigen Hut auf dem schwarzen Plastikhaar.

Verärgert über sich selbst, klopfte Weiler mit der Stablampe heftig gegen die Scheibe. Die Person rührte sich nicht.

Er schüttelte den Kopf und probierte die Tür. Sie öffnete sich.

“Hey, Sie!”, sagte er laut. “Wachen Sie auf.”

Der Mann auf dem Rücksitz, eine kräftige Gestalt, dessen dicke Hände im Schoß ruhten, reagierte nicht.

“Scheiße”, murmelte Weiler und beugte sich ins Innere des Hondas, um die Person mit der Lampe anzustupsen. Sie regte sich nicht.

Nun richtete er den Strahl direkt auf die Maske. Hinter den Augenöffnungen schimmerte es dunkel.

Ein mulmiges Gefühl ergriff ihn, seine Hände begannen wieder zu zittern. Ohne sein Zutun näherte sich seine Rechte dem Plastikgesicht. Weiler sah ihr verblüfft dabei zu, wie sie das dünne Kinn ergriff und in die Höhe zog.

Die bleiche Haut darunter war mit geronnenem Blut überzogen, das aus einer klaffenden Wunde in der Stirn des Mannes getreten war. Die leblosen Augen waren weit aufgerissen und starrten den Polizisten an.

Weilers Magen krampfte sich zusammen und er übergab sich auf die Füße der Leiche.

Die Finger verfielen in einen unruhigen Takt, gaben ihn schließlich auf und tippten nur noch nachdenklich auf das schwarze Leder. Dann glitten sie langsam hinüber zum Handschuhfach, öffneten den Verschluss. Sie verschwanden für einen Moment in seiner Dunkelheit, um gleich darauf etwas silbern Glänzendes hervorzuholen. Sie legten den Gegenstand auf einen von einem grauen Mantel bedeckten Schoß. Es war eine kleine Automatikpistole, Kaliber 32, sorgfältig gepflegt und poliert.

Die Finger inspizierten ruhig und aufmerksam die Waffe, zogen den Ladestreifen hervor, ließen ihn wieder einrasten und verbargen die Automatik schließlich in der Tasche des Trench Coats. Eine Hand hielt den Griff umfasst, wobei die Pistole von Außen kaum zu erkennen war. Die andere öffnete die Wagentür und drückte sie auf.

“Wir haben den zweiten Mann gefunden”, begrüßte Peter Far seinen Kollegen. Es war kurz vor Sechs und vor den Fenstern des Büros wich die graue Dunkelheit nur widerwillig dem Morgen. Der Duft frischen Kaffees durchsetzte die muffige Luft des Raumes und Welb steuerte ohne eine Antwort auf die Kaffeemaschine zu. Er nahm seinen Becher, den man ihm zum fünfzehnjährigen Dienstjubiläum überreicht hatte, füllte ihn mit der heißen Flüssigkeit. Dann ging er zu seinem Schreibtisch und ließ sich schwer in seinen Bürostuhl fallen. Als er einen vorsichtigen Schluck genommen hatte, sah er seinen Kollegen an und fragte: “Wer ist es?”

Far reichte ihm eine dünne Akte, die Welb entgegennahm und vor sich ablegte, ohne einen Blick hinein zu werfen. “Also?”

“Sein Name ist Max Donner. Hat ein paar Jahre im Militärgefängnis gesessen. Allerlei Diebstähle, außerdem hat er Munition verschwinden lassen.”

Welb sah den anderen ohne großes Interesse an. Sein scharfkantiges Gesicht war von Müdigkeit und Anspannung gezeichnet.

“Seit seiner Entlassung aus der Armee hielt Donner sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Einmal kam er wegen eines Raubüberfalls vor Gericht, wurde jedoch nicht verurteilt.”

“Woher wissen wir, dass er an dem Coup im Casino beteiligt war?”

Far schob einige Akten von der Ecke des Schreibtischs und setzte sich. “Seine Maße passen auf den zweiten Täter. Außerdem fanden wir eine Stan-Laurel-Maske bei seiner Leiche.”

Welb sah auf: “Seiner Leiche?”

Der andere Beamte grinste: “Ein Streifenpolizist namens Eddy Weiler hat ihn unten im alten Gewerbegebiet gefunden. Saß auf dem Rücksitz eines schwarzen Hondas, eine Kugel im Kopf. Danach hat ihm jemand die Maske wieder aufgesetzt.”

“Und das Geld?”

Far zuckte die Schultern: “Kein einziger Geldschein davon. Die Jungs von der Spurensicherung sind mit ihrer Arbeit fast fertig.”

“Irgendwelche Hinweise?”

“Ein paar Fußspuren, Turnschuhe der Größe 38. Reifenspuren von einem Kleinwagen neben dem Tatort. Keine Fingerabdrücke, keine Patronenhülse.”

“Ein Profi?”

“Ein dritter Mann?” Welb starrte nachdenklich in die braune Flüssigkeit, die sein Spiegelbild verzerrt zurückgab. “Vielleicht hatten sie einen Fahrer, der jetzt aufräumt.”

“Eine dritte Frau.”

“Frau?”

“Die Spurensicherung geht von einer Frau oder einem kleinen und leichten Mann aus. Die Fußabdrücke legen das nahe, ebenso der Eintrittswinkel der Kugel.”

“Hatte einer der beiden eine Freundin?”

“Conrads nicht. Donner überprüfen wir noch.”

“Ist einer der beiden in Frauenbegleitung im Casino gesehen worden?”

“Wir sind dabei, die Angestellten noch einmal zu befragen, aber da sie Conrads schon nicht gesehen haben, werden wir bei Donner auch wenig Aussicht auf Erfolg haben. Die beiden haben saubere Arbeit geleistet.”

“War Singer kooperativ?”

Far schüttelte den Kopf: “Du kennst ihn ja. Man sollte denken, er wäre froh, dass wir versuchen, seine Kohle wieder zu beschaffen, aber er misstraut uns einfach.”

“Singer misstraut jedem. Ich fahre heute Mittag noch mal zu ihm raus und rede ihm gut zu.”

“Tu das, wir können seine Hilfe brauchen.”

“Habt ihr die Angestellten überprüft?”

“Haben wir. Uns ist keiner aufgefallen, auch keine der Frauen. Singer nimmt nur saubere Leute.”

“Niemand ist ganz sauber.”

“Mag sein, aber sauber genug, um nicht für einen Raubüberfall mit Todesfolge in Frage zu kommen.”

“Eine undichte Stelle muss es im Casino doch geben. Wie sollten Conrads und Donner sonst an den Schlüssel gekommen sein?”

Far strich sich das schüttere Haar glatt. “Dafür haben wir vielleicht eine Erklärung.”

“Ach?” Welb sah ihn neugierig an.

“Koch, Singers dritter Mann im Casino, ist verschwunden. Er besaß einen Schlüssel.”

“Koch ist also in Singers Garde aufgerückt. Zeichnete sich schon damals ab. Warum hat Singer uns das nicht sofort gesagt?”

“Koch ist angeblich in Urlaub. Wir können ihn nicht finden.”

“Meinst du, er taucht noch mal auf?”

“Wäre Koch nicht ein fetter, gemütlicher Kerl, würde ich ihn als Killer in Erwägung ziehen. Aber er war es nicht. Vielleicht hat er die Sache inszeniert, aber Singer schwört auf ihn.”

“Ich kenne Koch, der kommt nicht in Frage. Hat nicht genügend Mumm.”

“Dann liegt er vermutlich irgendwo mit einem Loch im Schädel”, meinte Far und gähnte.

Welb ließ sich zurücksinken. “Das bringt uns dem Geld keinen Schritt näher. Zwei Täter tot und von den Hintermännern keine Spur. Treibt mir Koch auf, tot oder lebendig.”

“Wir bleiben dran.” Far massierte sich die Stirn, ging hinüber zur Kaffeemaschine und goss sich einen Becher ein. Er betrachtete missmutig die schwarzen Flecken auf der Tasse, die sich unter dem Einfluss der Hitze auflösten und eine ordinäre, nackte Frau freigaben. “Wäre schön, wenn das mit dem Casino-Fall auch so gehen würde”, seufzte er, nickte seinem Kollegen zu und schlenderte aus dem Raum.

Welb starrte einige Zeit auf die geschlossene Tür, das Gesicht ausdruckslos, dann trank er von seinem Kaffee, nur um festzustellen, dass er bereits erkaltet war.

Der Daumen drückte zweimal kurz auf den schmutzigen Klingelknopf neben einem Namensschildchen, das Feuchtigkeit und Alter unleserlich gemacht hatten. Dann legte sich die Hand auf den angelaufenen Türknauf und drückten dagegen, als ein leises Summen ertönte. Dahinter wartete ein zwielichtiger Hausflur, eingelegt in den Muff alten Plastiks und feuchten Staubes. Das schwarzweiße Kachelmuster schien in unruhiger Bewegung. Über eine dunkle Holztreppe, deren Geländer abgegriffen und uneben war, tastete sich die Hand nach oben. Elektrisches Licht gab es hier nicht, nur ein milchiges Schimmern, das durch die schmalen Treppenhausfenster sickerte. Jeder Schritt durchdrang dumpf das alte Holz. Die Flure lagen verwaist da, alles war in einen todesähnlichen Schlaf versunken.

Im obersten Stockwerk jedoch lockte eine warme Helligkeit, deren Schein durch den Spalt einer Tür glomm. Die Linke berührte das weiß gestrichene Holz und klopfte leise dagegen. Zwei kurze Schläge, dann eine Pause und ein weiteres leises Anklopfen. Die andere Hand umfasste den Griff der 32er, die in der Manteltasche verborgen war.

Die Wohnungstür wurde beinahe im gleichen Moment aufgezogen und helles Licht floss in den Hausflur, riss den bleichen, durchgelaufenen Teppich und die schmutzig weißen Wände aus dem Halbdunkel, in das sie sich vor Scham verkrochen hatten.

Die Hand hingen einen Augenblick lang in der Luft, dann sackte der Arm schlaff herab.

“Bedienen Sie sich, Inspektor.” Singer hielt Welb ein goldenes Etui hin, in dem dünne Zigaretten lagen. Der Beamte schüttelte den Kopf. “Danke.”

Singer zuckte die Schultern, nahm eine Zigarette heraus und zündete sie mit einem kleinen, teuren Feuerzeug an. Er stieß langsam den Rauch aus und ließ sich hinter seinem wuchtigen Schreibtisch nieder. Der Tabak verbreitete einen süßlichen Geruch.

“Setzen Sie sich. Möchten Sie etwas trinken? Tee, Kaffee, Gin?”

“Bemühen Sie sich nicht, Singer.” Welb ließ sich schwer in einen der beiden roten Ledersessel fallen, die auf einem weichen, weißen Teppich vor dem Schreibtisch standen.

“Wie Sie meinen. Mauritz wird gleich hier sein, es stört Sie doch nicht, wenn er an unserem Gespräch teilnimmt?”

“Wenn Sie ihm vertrauen.”

Singer lachte leise. “David ist meine rechte Hand, als wäre er festgewachsen.” Er war ein kleiner Mann, Mitte der Vierzig, mit dunklen, krausen Haaren über einer niedrigen Stirn. Seine flinken Augen maßen ihre Umgebung aufmerksam. Gelegentlich strich er sich mit einer manikürten Hand über das spitze Kinn. Sein heller Anzug war maßgeschneidert, an seinem weißen Hemd glänzten goldene Manschettenknöpfe.

“Was ist mit Koch?”

Singers Lachen verstummte. “Pavel ist in Urlaub.” Er musterte den Inspektor eindringlich.

“Kann man ihn erreichen?”

“Für gewöhnlich schon, aber …”

“… er ist nicht aufzufinden.”

Der Mann hinter dem Schreibtisch zuckte hilflos die Schultern. “Er ist nicht in seinem Ferienhaus. Sein Mobiltelefon ist abgeschaltet.”

“Koch besitzt einen Schlüssel?”

Singer nickte stumm.

“Könnte er an dem Coup beteiligt sein?”

Der andere hob die Linke, an der zwei schmale Ringe glitzerten. “Pavel ist meine linke Hand, wie angewachsen.”

Welb kratzte sich am Kopf. “Das habe ich mir gedacht.”

Es klopfte an der Tür, eine Folge leiser Schläge, dann trat David Mauritz unaufgefordert ein. Seine kräftige Gestalt steckte in einem teuren Anzug, aber er schien besser in T-Shirt und Shorts aufgehoben zu sein. Seine Haut war braungebrannt, so dass der blonde Kinnbart und das dichte Haupthaar leuchteten. Auf seinem Nasenrücken saß eine schmale Brille mit goldenem Gestell. Er nickte Welb zu und blieb an der geschlossenen Tür stehen. Während er sich eine Zigarette anzündete, tauschte er einen flüchtigen Blick mit seinem Chef.

“Der Inspektor erkundigte sich gerade nach Pavels Loyalität. Er hält es für möglich, dass er an den Unannehmlichkeiten beteiligt sein könnte.” Singers Tonfall trug eine Spur Sarkasmus in sich.

“Ich versuche lediglich, den Schlüssel ausfindig zu machen, mit dem sich die Täter Zutritt verschafft haben.”

“Pavel ist nicht Ihr Mann, Inspektor.”

“Vielleicht nicht freiwillig. Hatte er Schulden, eine teure Geliebte?”

Singer sah ihn böse an: “Keiner meiner Leute hat Schulden. Ein Kasino mit verschuldeten Angestellten ist wenig vertrauenswürdig.”

Welb hob müde die Hand. “Ich weiß, ich weiß. Aber der Schlüssel muss ja irgendwo herkommen.” Er ließ seinen Blick zwischen den beiden Männern hin und her wandern.

Der Kasinobesitzer setzte eine beleidigte Miene auf. “Diese Frage haben wir Ihrem Kollegen Far schon beantwortet. Unsere Schlüssel kamen uns nicht aus der Hand.” Mauritz nickte bestätigend.

“Also bleibt nur Koch.”

“Er wird Ihnen das gleiche erzählen, wenn er aus dem Urlaub wiederkommt.”

“Wenn er aus dem Urlaub zurückkommt.”

Der Mann hinter dem Schreibtisch presste die Lippen aufeinander. Unruhig zog er eine weitere Zigarette aus seinem goldenen Etui. “Ihr Ton gefällt mir nicht, Inspektor.”

Mit einem leisen Seufzen beugte Welb sich vor. “Wir haben drei Leichen, die auf das Konto der Räuber gehen. Ein vierter Toter wird ihnen nicht viel ausmachen.”

“Koch kann auf sich aufpassen”, warf Mauritz von der Tür her ein. Seine Worte waren heiser, als benutze er die Stimmbänder in seinem gebräunten Hals kaum.

“Koch kann nicht einmal auf seine Angestellten aufpassen.”

Singer klopfte unruhig auf die Tischplatte. “Dafür habe ich ja David.”

Sie schwiegen einige Zeit. Der Rauch von Singers Zigarette kräuselte sich träge in der Luft. Welb betrachtete die gerahmten Fotografien an den Wänden. Schwarzweißbilder vergangener Hollywoodgrößen.

“Haben Sie schon eine Spur von meinem Geld, Inspektor?”

“Sie haben lange für diese Frage gebraucht, Singer. Bedeutet es Ihnen nicht viel?”

Der andere runzelte die Stirn: “Natürlich tut es das.”

“Sie sind nicht sonderlich kooperativ, um es wiederzubeschaffen.”

Der Kasinobesitzer beugte sich vor, auf seinen Wangen zeichneten sich rote Flecken ab. “Nicht kooperativ? Ich? Ich habe der Polizei genug für den Rest meines Lebens geholfen, wenn Sie sich erinnern wollen, Inspektor. Sie haben mehr als vier Monate mit Ihrem Beamtenarsch in meinem Laden gesessen und meine Gäste bespitzelt. Und da werfen Sie mir vor, ich wäre nicht kooperativ?”

“Sie sind entschädigt worden, Singer.”

Der Mann hinter dem Schreibtisch spreizte die Finger und schüttelte den Kopf. “Glauben Sie, es war gut für mein Geschäft, vier Monate die Bullen im Haus zu haben?”

“Sie haben der Bevölkerung einen Dienst erwiesen und mitgeholfen, einen Mörder zu überführen.”

Singer sah ihn herablassend an. “Verschonen Sie mich mit meinen Pflichten als Staatsbürger.”

Welb lächelte amüsiert. “Wir haben uns für die Zeit sehr bedeckt gehalten.”

“Bullen können sich bedeckt halten wie sie wollen, sie hinterlassen dennoch ihren Geruch.”

“Mir scheint, Sie haben ganz gut gelüftet, Singer. War immerhin ein nettes Sümmchen, dass Sie da im Keller hatten.”

“Hatten!”

“War es wirklich eine runde Million?”

Singer schüttelte mit einem traurigen Lächeln den Kopf: “In Ihren vier Monaten hier sollten Sie doch wohl bemerkt haben, dass mein Laden sauber ist.”

“So sauber, wie er gerade sein muss”, entgegnete der Inspektor.

“Sie klingen ziemlich frustriert, Welb. Macht Ihnen der Job keine Freude mehr? Vielleicht kann ich eine alternative Beschäftigung für Sie finden.”

“Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über meinen Job, Singer.”

“Wie wäre es, wenn Sie ihn dann machen und mir mein Geld wiederbeschaffen?”

Die beiden Männer starrten sich einen Moment lang an. Um Singers Mundwinkel zuckte es. Schließlich gab Welb ein leises Grunzen von sich und wandte den Blick ab. “Wir suchen nach einer Frau, vielleicht auch nach einem kleinen, leichten Mann. Sie oder er hat einen der am Überfall beteiligten Gangster erledigt. Ein wohlgesetzter Kopfschuss. Keine Zeugen, kaum Spuren. Vermutlich hat sie den Fluchtwagen gefahren, aber sicher wissen wir es nicht.”

“Sie wissen ziemlich wenig”, mischte sich Mauritz mit rauer Stimme ein. Welb ignorierte ihn und fuhr fort: “Der Tote hieß Maximilian Donner, ein unehrenhaft entlassener Berufssoldat. Hier ist ein Foto von ihm.” Der Inspektor zog eine Aufnahme aus seiner Manteltasche und hielt sie erst Singer, dann seinem Angestellten hin. “Den Mann schon mal irgendwo gesehen?”

Der Kasinobesitzer hob entschuldigend die manikürten Hände. Die Ringe an seinen Fingern glitzerten. “Bedaure, solche Individuen verkehren hier nicht.”

“Und Sie, Mauritz?”

“Nie gesehen.” Er klang unbeteiligt.

Mit einer barschen Bewegung stopfte Welb das Bild in seine Tasche zurück. “Donner ist tot, Benny Conrads ist tot. Uns gehen die Spuren aus. Auf eine Frau, die womöglich die Fäden in den Händen hält, haben wir keinen nützlichen Hinweis.” Er atmete geräuschvoll aus. Die beiden anderen sahen ihn schweigend an. “Hat irgendeiner Ihrer engeren Angestellten in letzter Zeit seine neue Freundin im Kasino herumgeführt?”

Singer lehnte sich in seinem Sessel zurück und blies langsam den Rauch seiner Zigarette in Richtung der Decke. Sein Gesicht wirkte erschöpft und abgekämpft. “Das führt doch zu nichts, Welb. Wenn uns etwas aufgefallen wäre, hätten wir es Ihnen doch schon längst mitgeteilt.”

Der Inspektor beugte sich vor, um seinen Mundwinkel spielte ein unfreundlicher Zug. “So wie bei Koch und dem dritten Schlüssel?”

Der Kasinobesitzer erwiderte seinen Blick kalt. “Pavel hat damit nichts zu tun. Und dass er einen Schlüssel hat, dürfte Ihnen vielleicht von damals noch geläufig gewesen sein.”

“Damals war er noch nicht einer Ihrer Lieblinge.”

“Oh, doch. Er fing gerade an, sich beliebt zu machen. Vergessen Sie es, Welb, er ist sauber.”

“Vermutlich ist er tot.” Der Inspektor wandte müde die Augen ab, seine Hände lagen leicht verkrampft in seinem Schoß, als fehlte ihm etwas, an dem er sich festklammern konnte. Nach einer Weile stand er auf, zog seinen Mantel zurecht und sah sich im Raum um, als wäre er zum ersten Mal dort. “Wir tun, was wir können”, bemerkte er ohne sonderlichen Enthusiasmus.

Singers Worte troffen vor Sarkasmus und verfolgten den Inspektor auf seinem Weg aus dem Büro hinaus: “Sie tun immer, was Sie können. Aber ob es genug ist?”

“Wollen Sie mich verhaften, Inspektor?” Eine sinnliche, von zu viel Rauch und schlechten Gedanken geschliffene Stimme. Das Wort Inspektor schien in der Luft zu vibrieren, ehe es sich verlor. Es kam über die vollen Lippen einer blonden Frau, die an die Wand gelehnt stand. Das seidiges Haar, sanft hochgesteckt, schien durch das Licht hinter ihr zu leuchten. Ihr Mund war hellrot geschminkt, die Zähne darin waren klein und vom Nikotin verfärbt. Ihre Nase war zierlich und verlieh ihr zusammen mit den klaren blauen Augen den Anschein von Unschuld. Dabei war ihr Körper fest und wohl gerundet, ihre Arme ruhten verschränkt vor ihren aufreizenden Brüsten. Sie trug eine dünne weiße Bluse und einen kurzen grauen Rock.

“Wenn ich könnte, würde ich das tun.”

“Aber Sie können nicht, Inspektor?”

Er schüttelte den Kopf. “Nein.”

Sie nickte beiläufig, stieß sich von der Wand ab und ging vor ihm her ins Wohnzimmer. Ihr rundes Gesäß zeichnete sich bei jedem Schritt deutlich unter dem engen Rock ab. Langsam, den Blick gebannt auf ihre Kehrseite gerichtet, trat er ein, schloss die Tür hinter sich und folgte ihr.

Es war ein längliches, mit alten Möbeln eingerichtetes Zimmer und gerahmten Fotografien an den Wänden, die keine Bindung zur Bewohnerin der Wohnung hatten. Zigarettenrauch hing in der trockenen Luft.

Die Frau blieb stehen, ohne sich umzuwenden. Er trat hinter sie, seine Hände glitten unter ihren Armen hindurch, legten sich auf ihre Brüste und begannen sie grob zu pressen. Sein Gesicht vergrub sich in ihren Hals, koste die weiche Haut, die nach Parfüm, Schweiß und Sünde schmeckte. Ihr Körper erzitterte, ein leises Seufzen drang über ihre Lippen, dann befreite sie sich ruckartig aus seinem Griff. “Das reicht erst einmal, Inspektor Welb.” Sein Dienstgrad kam in Ironie getränkt aus ihrem roten Mund.

Er blieb wie ein ertappter Schuljunge in der Mitte des Raumes stehen, seine Augen folgten der Frau, die langsam zum Fenster glitt. Ihr Haar war keineswegs strahlend blond, sondern von einem dumpfen Ascheton. Sie nahm eine Packung Zigaretten von der Fensterbank, zog umständliche eine daraus hervor und zündete sie mit einem kleinen goldenen Feuerzeug an. “Entspann dich, Inspektor. Warum bist du so verkrampft?”

Welb stieß leise die Luft aus und sah sich unschlüssig im Zimmer um. Sein Blick blieb an dem runden Esstisch hängen, auf dem ein großer, schwarzer Lederkoffer stand. Er war aufgeklappt, so dass die ordentlichen Stapel Banknoten zu sehen waren.

Die Frau beobachtete ihn aufmerksam und lachte dann amüsiert, ein greller und wenig sinnlicher Ton, der kaum zu ihrem anziehenden Äußeren passen wollte. “Gefällt es dir?”

“Wie viel ist es?”

“1,2 Millionen.”

Der Inspektor pfiff lautlos, seine Augen hingen wie hypnotisiert an den Geldscheinen.

“Siehst du Hawaii?”

Er befeuchtete sich die Lippen. “Sehen? Ich höre und rieche es!”

Sie ging zum Koffer hinüber, nahm ein Bündel heraus und strich nachdenklich mit dem Daumen darüber. Dann führte sie es an ihren Ausschnitt, berührte sanft die milchige Haut. “Wie es wohl ist, in einem solchen Haufen Geld zu ficken? Wir müssen es unbedingt ausprobieren.”

Der Mann nickte und ließ sich in einen niedrigen Sessel sinken, ohne seinen Mantel abzustreifen oder zu öffnen.

“Willst du einen Drink, Inspektor?”

Er nickte erneut. Die Haut seines bleichen Gesichts spannte über den Knochen.

“Du siehst müde aus, es wird Zeit, dass du den Dienst quittierst.”

“Nicht sofort. Zumindest nicht, bis der Überfall zu den Akten gelegt wurde.”

Sie mixte ihm einen Gin Tonic, schlenderte zu ihm herüber und schob ihm das Glas in die linke Hand. Seine Rechte steckte in seiner Manteltasche. Ihr Parfüm stieg ihm in die Nase. “Wird das noch lange dauern?”

“Tote ruhen nicht sofort.”

“Sie haben keine Spur, oder?”

Welb schüttelte den Kopf. “Nein, wir haben alle verwischt.”

Sie lachte leise: “Das haben wir, nicht wahr? Donner und Conrads, ohne dass sie den Mund aufmachen konnten.”

“Max war zuverlässig”, wandte er ohne große Überzeugung ein.

“Vielleicht. Aber es war zu riskant, es darauf ankommen zu lassen. Immerhin war er mit Conrads dicke. Und wenn einer mit dem gut kann, ist er zu allem fähig.”

“Vermutlich hast du Recht. Conrads war ein Psychopath, die Welt wird ganz gut ohne ihn auskommen.”

Ihre leuchtend roten Lippen teilten sich zu einem Lächeln. “Ganz der Herr Inspektor. Das Ungeziefer vom Angesicht der Erde tilgen.”

Er sah sie missmutig an.

“Was ist mit Koch?” Sie ging hinüber zum Beistelltisch und goss sich einen unverdünnten Gin ein.

Welb sah auf den Rest in seinem Glas. “Irgendwann finden sie seine Leiche, aber für uns bedeutet das keine Gefahr. Und jetzt dürfte niemand mehr eine Verbindung zwischen Conrads, Donner und uns finden. Sie wissen zwar, dass eine Frau am Sterbeort von Max war, aber das wird ihnen nicht viel nützen.”

“Also gibt es niemanden, der weiß, dass wir das Geld haben?” Sie wandte ihm den Rücken zu, blickte auf die Reflexionen in der Flasche auf dem Tisch. Er beobachtete sie und sagte: “Niemand. Niemand, außer uns beiden.” Die Worte hingen einige Momente im Raum, befremdlich und unheilvoll.

“Meinst du, das Geld wird reichen?” Sie deutete mit einem Kopfnicken auf den geöffneten Koffer.

“Wenn wir es nicht übertreiben, können wir gut davon leben.”

Ihre Finger bewegten sich langsam über die glatte Holzplatte, tasteten sich zwischen den Flaschen und Gläsern hindurch, auf ihre Handtasche zu.

“Denkst du daran, mich loszuwerden?” Seine Stimme war rau und angespannt.

Ihre Hand verharrte, lauerte wie eine Spinne über der Beute, dann wandte sie sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und lachte. Es war wieder dieser grelle Klang, der sich nicht zu ihrer Figur gesellen wollte. “Vielleicht.” Er nickte nur knapp, das Gesicht ausdruckslos.

“Es ist ja nicht so, dass ich die einzige mit solchen Gedanken bin. Die harte Ausbuchtung in deinem Mantel ist wohl nicht nur die überschwängliche Freude, mich zu sehen.” Sie schlenderte zum Koffer hinüber.

Sein Blick glitt auf seinen Schoß, wo seine Hand in der Tasche des Mantels die Automatik hielt. “Immerhin bist du eine Killerin.”

Sie berührte zärtlich die Geldbündel. “Stört dich das, Inspektor?” Welb schüttelte langsam den Kopf.

Schließlich wandte sie sich zu ihm um. Ihr Gesicht war gerötet, in ihren kindlichen Augen schimmerte es verlangend: “Wollen wir es ausprobieren?” Ihre Finger fuhren die Linie ihres Ausschnittes nach.

Er sah sie einen Moment lang verständnislos an. “Was?”

“Wie es ist, auf einer Million zu vögeln.”