Das Herz von alledem I.
Der Raum ist rot. Durch und durch rot. Die alte Stofftapete, deren Lilienmuster nur noch Erinnerung ist. Die dünnen Vorhänge vor den vier Fenstern, die sich träge in einem heißen Wind bewegen. Der dicke Teppich, der an etlichen Stellen ausgetreten ist und seine Weichheit verloren hat. Die zerknitterten Samtbezüge des Bettes. Rot. Aber kein Rot wie Blut, kein Rot wie blanke Wut, sondern eines von Rost und Wolllust. Ein metallischer Schimmer darin, der das apokalyptische Licht einfärbt, das durch die glaslosen Fenster eindringt. An der Wand schlägt eine Uhr – Ticktack, ticktack, ticktack. Dreizehn Stunden auf dem gesprungenen Ziffernblatt, das Pendel darunter schlägt hin und her zwischen Geburt und Sterben. Der Uhr gegenüber ein wuchtiges Ölgemälde, sein goldener Rahmen zerkratzt, ein paar seiner hölzernen Blüten liegen herausgebrochen auf dem Teppichboden. Die Leinwand ist alt und rissig, ein kompliziertes Geflecht aus Grenzen, die den nackten Leib der Rubensfrau darauf aufteilen. Sie beugt sich über einen marmornen Springbrunnen, die volle Kehrseite zugewandt, ihre Scham am Rande des Verborgenen. Die schweren Brüste mit den tiefroten Höfen berühren das dunkle Wasser. Eine zerbröckelnde Frühlingsgöttin schüttet ihren feuchten Segen in den Brunnen, während der wuchernde Garten die Rubensfrau zur Gefangenen macht.
An einer anderen Wand hängt ein weiterer Rahmen, das Bild darin eine klaffende, fleischige Blüte, aus der beständig zähes Blut dringt, über das gold gestrichene Holz quillt, die Tapete hinabrinnt und im Teppich versickert, ohne einen Fleck zu hinterlassen.
Bleibt das Bett, im Herzen des Raumes, denn Türen gibt es nicht. Über ihm hängt ein Lüster, dessen Kristalltropfen lange erblindet sind. Seine Kerzen sind niedergebrannt, ihr Wachs zu seltsamen Figuren erstarrt.
Es ist aus dunklem, poliertem Holz. Die vier Füße und Bettpfosten sind kunstvoll herausgeschnitzt worden. Einst verbargen sich darin Nymphen, zerbrechlich und jungfräulich, die von scharfer Klinge aus der Dunkelheit geholt worden sind, um in ewiger Verzückung ihre Unschuld zu offenbaren. Eine jede blickt zu einem der Fenster.
Ein langer Kratzer zieht sich über die glatte Fläche am Fußende.
In der Mitte des Bettes liegst du, die Arme ausgebreitet. In den Handgelenken pocht ein einzelner, stechender Schmerz. Nackt bist du, die drückende Hitze zwingt Schweißperlen auf deine gerötete Haut. Die Laken kleben an Rücken und Beinen, gebraucht wie sie sind von Hundert Geliebten. Und du starrst an die Decke, an den feuchten Fleck hinter dem Lüster. Rohrschacht-Phantasien. Ein Schmetterling. Die letzte gefickte Möse, noch feucht von deinem Schwanz. Der ruht zwischen deinen Beinen. Ein verschrumpeltes Stück Fleisch, das eingetrocknete Spuren auf dem roten Grund hinterlassen hat. Du atmest schwer, jeder Zug rasselt in durch deine Brust, bricht über deine aufgesprungenen Lippen heraus. Du bewegst dich kaum, nur selten senken sich deine schweren Lider.
Der Fleck verändert sich, wenn du den Blick fortnimmst. Aus der Möse könnte etwas anderes werden, aber du willst sie nicht fortlassen.
Dabei zieht es dich hinter die Fenster, du weißt nur nicht durch welches. Natürlich sind sie nur Symbole. Aber wofür? Du hast keine Ahnung. Raten war noch nie deine Sache.
Ticktack. Ticktack. Da liegst du und lauscht der Uhr. Es gibt nicht viel mehr, dem du zuhören könntest, außer dir selbst. Der Wind in den Fenstern ist stumm, die vier Frauen sind es auch. Sie kauern davor, ihre Blöße umspielt von den durchscheinenden Vorhängen. Um ihre Hälse tragen sie lederne Riemen, von denen ein Band zu je einem der Posten führt. Sie posieren wie Raubkatzen, du kannst es aus den Augenwinkeln sehen. Schweiß schimmert auf ihrer Haut.
Wie viele Schläge vergangen sein mögen? Wie viele noch vergehen werden? Der Zeiger weigert sich, über das Ziffernblatt zu wandern.
Endlich kommt sie zu dir und du kannst die Möse an der Decke aus den Augen lassen, die jetzt ohnehin ein Schmetterling geworden ist. Das Lederband liegt zwischen ihren festen Brüsten und verläuft sich zwischen ihren Schenkeln. Blond ist sie, ein paar Locken im Haar. Die Augen blaugrau. Blaugrau. Ein bisschen wie bei deiner ersten Liebe, aber war die blond? Es spielt keine Rolle. Das hier ist unmittelbar, vergiss die Ähnlichkeiten. Ihr Mund ist einzigartig. Blasse Lippen, die sich über dich beugen, deinen Schwanz einsaugen. Verspielt darüber fahren, ihn gefangen nehmen, bis du schmerzhaft hart bist. Da ist sie wieder, die Hitze in deinem Unterleib. Jenes Brennen, das sich aus deinen Eingeweiden hocharbeitet. Um dann in heißen Strömen aus dir hervorzubrechen, während sie dich austrinkt. Leer trinkt, bis das Brennen wieder dumpf und fern ist.
Da ist ein weiterer Fleck neben dem ersten, als wäre der Raum darüber überflutet und die Feuchtigkeit suche sich ihren Weg hinab. Ticktack. Die Uhr ist noch da, die blonde Frau nicht mehr. Sie hat, was sie will und das Fenster fortgenommen.
Du atmest entspannt, wünscht, dass du die Arme bewegen kannst. Aber sie sind noch immer festgenagelt.
Zeit für das nächste Weibsstück. Braune Locken, lang bis zu ihrem makellosen Gesäß. Die beiden Halbkugeln lassen genügend Platz, um wer-weiß-was dazwischen zu schieben. Lass’ die Flecken Flecken sein.
Sie klettert über dich, ihre Haut schimmert wie Bronze im Licht des Kronleuchters. Die Spitzen ihrer Brüste stehen leicht nach außen, die dicken Lippen ihres Geschlechts bereits auseinander. Das Bett protestiert, als sie auf dir niederlässt. Deinen pochenden Schwanz in sich treibt. Es tut weh, auch wenn sie warm und feucht ist. Dein zuckendes Stück Fleisch ist überreizt. Genau die richtige Schwelle zwischen Pein und Lust. Ihr Blick ist verträumt, sie saugt an ihrer Unterlippe, während sie sich auf dir bewegt. Jedes Mal, wenn sie dich tief in sich hat, wippen ihre Brüste, stöhnt sie leise. Es scheint Ewigkeiten zu dauern. Das Quietschen des Bettes mischt sich mit ihren Lustlauten, mit dem Ticken der Uhr. Dann bäumt sie sich auf, ihre Möse zieht sich um dich zusammen. Ein Zucken fährt durch ihren schweißnassen Leib, ehe du dich ihr ergibst und das letzte Bisschen Kraft in sie strömen lässt.
Von der Decke löst sich ein zäher Tropfen, tänzelt an einem dünnen Faden, ehe er hinabfällt und lautlos den Teppich berührt. Die Uhr scheint es eiliger zu haben, der lange Zeiger hastet über die Ziffern hinweg. Aber sein kleiner Bruder weigert sich, auch nur einen Schritt zu tun.
Jetzt sind es nur noch zwei Frauen, deren Fesseln zum Bett führen. Auch nur noch zwei Fenster. Welches wohl übrig bleibt? Durch die Vorhänge kannst du nicht einmal erahnen, was dahinter liegt, nur, dass es wichtig ist.
Dann kommt sie endlich. Glatt und zierlich, ihr Haar lang und schwarz, der Leib knabenhaft. Flache Brüste mit kleinen Höfen, ihr Gesäß kaum ausgeprägt. Der Riemen um ihren Hals wirkt groß und roh.
Sie steigt auf das Bett, stellt sich breitbeinig über dich. Ihre Scham ist geschwungen und bloß, leicht geöffnet. Der Spalt wird deutlicher, die Lippen schimmern feucht, als sie sich auf dir niederlässt. Ihr Duft mischt sich mit der Schwere des Raumes. Dann presst sie sich auf dich, reibt ihr loderndes Fleisch an deinem Gesicht, bis deine Lippen ihre Geheimnisse gefunden haben. Ihr Geschmack ist vage vertraut. süß, ein wenig bitter. Du küsst und leckst und saugst, schiebst dich in sie, so tief du es vermagst. Ihre Schenkel reiben an deinen Wangen.
In deinem Kopf ist das Pochen und Pulsieren, untermalt von ihrem schüchternen Seufzen. In ihrer Dunkelheit blitzen grelle Lichter hinter deinen Lidern. Am liebsten würdest du ganz in sie eindringen, dich in sie drängen, hineinkriechen, zurück zum Anfang. Aber dir bleibt nur mehr die Besessenheit, ihr Fleisch zu kosten, bis sich ihre Hände in dein Haar krallen und sie ihr Geschlecht brutal an dein Gesicht drückt.
Ihr Geschmack ist noch auf deiner Zunge. Tick. Salzig nun. Tack. Du fühlst dich ausgelaugt. Tick. Am Ende deiner Kräfte. Tack.
Du kannst nicht mehr klar sehen, der Schein des Leuchters verschwimmt wie unter Tränen. Die Flecken sind zu einem einzigen zusammengeschmolzen. Er erinnert an ein Gesicht. Und es weint dicke Schleimtropfen. Der Teppich muss ganz aufgeweicht davon sein.
Jetzt ist nur noch ein Fenster übrig. Das erleichtert dich. Keine Entscheidung zu treffen, der Weg ist eindeutig. Der Wind bewegt den dünnen Vorhang, nicht lange und du wirst wissen, was dahinter liegt. Deine Lippen schmerzen, als du lächelst.
Ihre Haare erinnern an die Dame mit der Fackel. Ein Rotschopf, die mochtest du schon immer. Milchigweiße Haut, spitze Brüste, ein einladender Hintern. Über ihrer Scham ein kleines Dreieck gezähmten Feuers. Ihr Leib ist kühl und glatt, als sie dich berührt. Vielleicht liegst du bereits im Fieber. Sie küsst dich, von den Lenden an aufwärts, bis hin zur Brust. Just dort, wo dein Herz rast hält sie inne. Ihr funkelnder Blick schaut zwischen flammenden Strähnen zu dir auf. Sie lächelt. Ich liebe dich, sagt sie.
Das Messer ist sehr scharf und hinterlässt nur ein kleines Brennen dort, wo es durch Haut und Fleisch dringt. Es gleitet in dich hinein, eine Umkehrung des Aktes. Schiebt sich beinahe zärtlich ins Zentrum. Wie ein Liebesversprechen.
Sie ist fort und du spürst, wie das Blut aus dir strömt, sich das warme Nass unter dir ausbreitet. Du lächelst wieder, mühsam, aber glücklich. Dein Blick wendet sich zum Fenster, dessen Vorhang heruntergerissen ist und auf dem feuchten Boden liegt. Die zähen Tropfen verfärben den Stoff bereits.
Zeit zu gehen. Du gleitest hinaus, lässt das Herz hinter dir. Dort draußen wartet der grüne Hügel, auf dem schwarze und weiße Fliesen ausgelegt sind. Der Himmel ist blau und die Luft kühl.
Zuerst veröffentlicht bei Beatrice von Stein.