Jugendkrimi, Veröffentlichungen

Flimmern (Paideia 1)

Flimmern (Paideia 1)

Sonne, Strand und Surfen: Südspanien hat von allem reichlich. Doch statt einfach nur entspannte Ferien zu verbringen, geraten Jennifer, Flo, Marilyn und Audrey in eine düstere Welt aus Magie und Verschwörung. In der sonst so hippen Surfermetropole Tarifa ist der Glaube ans Übernatürliche lebendig und dunkle Geheimnisse locken die Freunde immer tiefer hinein in die engen Gassen der Altstadt. Sie begegnen einer fremden Welt des afrikanischen Voodoo-Kults und befinden sich plötzlich auf der Jagd nach Zombies und geheimnisvollen Hintermännern. Es beginnt eine riskante Suche und aus dem anfänglich harmlosen Nervenkitzel wird plötzlich mehr: Ein Flimmern, das sie alle bedroht.


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Fakten

Paideia 1
Genre: Jugendkrimi, Mystery, Internet
Alter: 12 – 16
Verlag: open for books
November 2013
Taschenbuch, 216 Seiten
ISBN: 978-3-944-833-01-9
Preis: 12,95 €


Leseprobe

Kapitel 1

Die Sonne stand dicht über dem Meer und musste jeden Moment in einer gewaltigen Dampfwolke darin versinken. Jennifer beobachtete die lodernde Scheibe durch ihre große dunkle Sonnenbrille, während sie neben ihrer Freundin Audrey auf der Strandmatte lag. Die Luft flimmerte vor Hitze, obwohl es bereits früher Abend war. Und selbst der Wind schob immer noch drückend warme Luft über die Wellen. Entweder man stürzte sich ins Mittelmeer oder man verfiel in einen Zustand völliger Lethargie. Jennifer hatte sich für Letzteres entschieden und sich ihrem Gefühl nach in den vergangenen drei Stunden kaum bewegt. Gerade einmal, um sich umzudrehen und gleichmäßig braun zu werden, etwas aus der mittlerweile leeren Kühlbox zu nehmen oder jetzt den Kopf zu heben und den Sonnenuntergang anzusehen. “Zisch!”, murmelte sie, als der Himmelskörper den Horizont berührte.

“Was meinst du?”, fragte Marilyn, ohne den Blick von ihrem Buch zu heben.

“Zisch! Ich glaube, ich bin völlig verdampft.”

“Du hast recht, es war heute unerträglich heiß”, stimmte Audrey ihr zu. Wie ihre Zwillingsschwester trug auch Audrey einen runden Strohhut auf dem rotblonden Schopf, den sie mit einem breiten Tuch festgebunden hatte. Die beiden sahen sich nicht nur zum Verwechseln ähnlich, sondern gerade auch wie zwei Filmstars aus, die einem alten Schwarzweißfilm entstiegen waren. Was gut passte, denn ihre Eltern hatten zu Hause eine ganze Sammlung von 50er-Jahre-Filmen und ihre Kinder nach den beiden berühmten Schauspielerinnen Marilyn Monroe und Audrey Hepburn benannt.

“Kannst du deinen Text nicht langsam mal?”, wandte sich Jennifer an Marilyn und ließ den Kopf sinken, als sie sicher war, dass die Sonne auch nicht anders unterging als am Vortag. Nämlich Ozean und Himmel gelb und rot zu färben und die wenigen Wolken in Brand zu stecken. Die Sonnenuntergänge in Südspanien waren einfach unglaublich.

“Den kann sie schon seit vorgestern, aber meine liebe Schwester will bei allem perfekt sein”, erwiderte Audrey gedehnt. Sie hielt ein kleines Fernglas in den Händen und beobachtete ein paar Surfer weiter unten am Strand. “Du solltest es ohnehin weglegen und dir die Boys da hinten ansehen.”

Marilyn klappte das Buch zu und griff nach ihrem eigenen Fernglas. “Was für mich dabei?”

“Wenn du einen knackigen Hintern willst und keinen Intellekt, bestimmt.” Ihre Schwester schnalzte mit der Zunge.

Jennifer angelte sich das abgegriffene Theaterstück und las ein paar Zeilen auf Französisch. “Geschlossene Gesellschaft von Sartre – um was geht es?”

“Um den Schrecken, der jeder von uns für den anderen sein kann.”

“Ach Gottchen. Keine Urlaubslektüre für mich. Ich lese lieber einen anspruchslosen Fantasyschmöker.” Jennifer legte das Buch zur Seite. Marilyn lernte den Text für ein Theaterprojekt an ihrer Schule. Letztes Jahr waren sie und ihre Schwester mit einem anderen Stück bei einem Theaterfestival in der Schweiz gewesen. Audrey musste diesmal jedoch keine Rolle auswendig lernen, stattdessen war sie an der Regie beteiligt.

“Willst du auch mal gucken, Jennifer?” Marilyn hielt ihrer Freundin das Fernglas hin.

“Will sie nicht, sie hat doch ihren Patryk.” Ein leicht schnippischer Tonfall lag in Audreys Stimme. “Hat er sich heute schon gemeldet?”

“Wir skypen heute Abend.” Jennifer schloss für einen Moment die Augen und stellte sich Patryks Gesicht vor.

“Wie romantisch”, seufzten die Zwillinge wie aus einem Mund.

“Macht euch nur lustig.”

“Tun wir gar nicht”, erklärte Audrey, “aber du musst zugeben, dass du dem armen Kerl völlig den Kopf verdreht hast.”

“Wir sind halt verliebt.” Der Wind wehte Sand gegen ihre Beine.

“So kann man das auch nennen”, kicherte Marilyn und grinste. “Da, unsere beiden Sportskanonen kommen zurück. Also, ich möchte wirklich mal wissen, wer Flo diese Shorts gekauft hat. Die Streifen sehen von weitem aus wie Zebramuster. Bestimmt die Nationaltracht in Köln.” Sie stellte das Fernglas scharf und beobachtete Flo und Dot, die mit ihren Brettern den Strand hinauf eilten.

Die Hüte der beiden Schwestern flatterten im Wind, die Seiten des Sartres raschelten aufgeregt. “Wir kriegen einen Sturm”, bemerkte Audrey.

“Hey, wir kriegen Sturm!”, brüllte ihnen Flo entgegen und fing gerade noch sein Strandtuch auf, ehe es davonfliegen konnte.

“Der Junge bemerkt aber auch alles.” Jennifer wischte sich Sand von den Lippen.

Flo rammte sein Board in den Boden und begann, sich abzutrocknen. Er hatte erst in ihrem Urlaub mit dem Surfen angefangen. Sport war eigentlich nicht so seine Sache, aber er hatte keine Lust gehabt, den ganzen Tag faul am Strand zu liegen. Und Dot war ein guter Lehrer, mittlerweile konnte Flo sich ganz passabel auf dem Brett halten. Redete er sich zumindest ein, denn ins Surferparadies Tarifa kamen eine ganze Menge Cracks, die den dauernden Wind hier nutzten . Und neben denen sah er noch immer aus wie ein blutiger Anfänger.

Eigentlich hieß Dot Mateo. Dot war nur sein Pseudonym, mit dem er im Netz unterwegs war, aber mittlerweile nannten ihn alle so. Selbst seine Mutter. Nur wenn es ein ernstes Thema gab, rief sie ihren Sohn beim richtigen Namen. Dafür, dass er den Großteil seiner Freizeit mit Programmieren verbrachte, sah Dot gar nicht aus wie ein Nerd. Zumindest nicht wie die Typen an Flos Schule, die programmierten oder dauernd Computerspiele zockten. Er war schlank, hatte die dunklen, halblangen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und ein Gesicht, das Flo manchmal an ein Hündchen erinnerte. Große Augen und eine kleine Nase. Nur sein Musikgeschmack ging gar nicht. Irgendwelcher elektronischer Kram, der klang als hätte der Produzent vergessen, das Lied noch mal anzuhören und ihm Melodie und Gesang zu verpassen. Dafür konnte er verdammt gut surfen und das nicht nur im Internet.

Die Freunde waren die Ferien über bei ihm zu Besuch – am Strand liegen, schwimmen, surfen und chillen. Und wenn es die Zwillinge packte, Ausflüge in die nähere Umgebung.

“Ist noch was zu Trinken da?” Dot trug einen kurzärmeligen Neoprenanzug und eine Kette mit einer versilberten Muschel daran um den Hals.

“Leer …” Jennifer klappte die Kühlbox auf und zu. “Es sieht überhaupt nicht nach Unwetter aus.” Am Himmel über ihnen zogen wie aus dem Nichts dichte Wolken auf und der warme Wind wurde immer stärker, ließ den Sand in unruhigen Mustern um ihre Füße tanzen.

“Eher ein Sandsturm. Die Sahara ist ja direkt um die Ecke.” Audrey schützte das Gesicht mit der Hand. “Spürt ihr das auch? Die Luft ist jetzt total drückend.”

“Und wie. Lasst uns lieber zurückgehen.” Dot zog sein Smartphone aus einer Umhängetasche. “Meine Mutter arbeitet noch, sonst hätte sie uns abholen können.”

“Dann vorwärts, ansonsten kriegen wir ein kostenloses Peeling.” Jennifer stopfte ihre Sachen in eine Tasche und hing sich die Kühlbox an einer Schlaufe über die Schulter.

Eine plötzliche Böe zerrte den Zwillingen die Hüte von den Köpfen und sie kreischten, während sie zusammenpackten.

“Kein Grund, hysterisch zu werden. Es ist nur Sand!” Flo klemmte sich sein Board unter den Arm und wurde vom Wind prompt ein paar Schritte vorwärts geschoben.

Audrey unterbrach ihr Gekreische: “Mädchen müssen kreischen.” Dann machte sie weiter, aber die Schwestern grinsten vergnügt.

Hastig suchten sie ihre Sachen zusammen. Der Wind war mittlerweile wirklich zu einem ernsthaften Sturm angeschwollen, der die Wellen auf den Strand krachen ließ. Die Wolken drängten sich nun am Himmel und dort, wo der Sand in dichten Schleiern über den Strand zog, war es mit einem Mal bleigrau und dunkel.

“Bindet euch was vor Nase und Mund und dann los!” Die Zwillinge und Jennifer eilten voraus, die beiden anderen kamen mit ihren Surfbrettern langsamer hinterher. Jetzt wurde es von Minute zu Minute dunkler und ohne die verschwommenen Lichter der Stadt hätten sie schnell die Orientierung verlieren können. Dot hatte ihnen den abgelegenen Strandabschnitt direkt am ersten Ferientag gezeigt und seitdem waren sie nur noch hierher gegangen. Es gab hier nur wenige Touristen, hauptsächlich Einheimische und Kite-Surfer. Ideal, um ungestört zu chillen. Dafür mussten sie allerdings einen längeren Fußmarsch in Kauf nehmen oder mit dem Bus fahren, wenn sie die Boards nicht dabei hatten.

Schon nach den ersten zwanzig Metern hatten sie die Jungs abgehängt und mühten sich parallel zum Wind vorwärts. Der Sand kratzte über die Haut, verklebte Augen und Nase. Jennifer hatte sich schützend ein Handtuch umgewickelt. Sie konnte kaum die Zwillinge neben sich sehen. Wenn der Sturm wenigstens kühle Luft gebracht hätte, statt alles nur noch drückender zu machen. Die Kühlbox schlug ihr gegen die Seite und ein Flipflop rutschte immer wieder vom Fuß. Vielleicht sollten sie sich einfach hinsetzen, sich in ihre Klamotten wickeln und warten, bis der Sandsturm abflaute. Sie gestikulierte hektisch in Richtung Marilyn, aber die verstand sie nicht, winkte nur zurück und stapfte weiter.

Plötzlich blieb Jennifer mit dem Fuß hängen und stolperte über etwas am Boden. Ein stechender Schmerz schoss durch ihr Schienbein, dann knallte sie unsanft auf die Box und rollte zur Seite. Für einen Moment verlor sie die Orientierung. Alles war dunkel und voller Sand. Endlich kam sie wieder auf alle Viere, und dann waren auch die Zwillinge da und halfen ihr auf die Beine.

“Alles in Ordnung?”, brüllte Audrey gegen das Heulen des Windes und gab ihr die Kühlbox zurück. Vielleicht war es aber auch Marilyn, Jennifer konnte es nicht sagen.

“Es geht, ich habe mir das Schienbein gestoßen!” Es tat weh und sie humpelte ein Stück. “Da ist was im Sand! Guckt mal!”

Die Zwillinge näherten sich der Stelle, an der Jennifer gefallen war. Audreys Herz tat einen Satz: “Da liegt einer!”

In der Dunkelheit sahen sie ein Beinpaar, dessen schwarze Haut von Sand bedeckt war. Es gehörte zu einem Mann, der auf dem Bauch lag, nur in einer kurzen Hose, einen Arm von sich gestreckt, den anderen vor dem Gesicht angewinkelt. Einen Moment lang waren die drei vor Schreck wie gelähmt.

“Ist er tot?”, schrie Marilyn. Der erste Impuls war, einfach wegzulaufen. Der Sturm, die Dunkelheit und der Körper am Boden waren zu viel. Schnell weg, jemandem Bescheid sagen. Nur raus aus dem Getöse.

Jennifer überwand sich als Erste . “Im Sand erstickt er vielleicht! Wir müssen ihn umdrehen. Helft mir!”

“Ich hole die Jungs.” Audrey lief zurück, während Jennifer und Marilyn den Mann am Arm packten und umdrehten.

“Ist der schwer!” Beim zweiten Versuch rollte der Körper herum und blieb halb auf der Seite liegen. Nase und Mund waren voller Sand, aber der Brustkorb hob und senkte sich. “Er lebt!” Jennifer wischte mit einem Handtuch über das dunkelhäutige Gesicht. Plötzlich riss der Fremde die Augen auf. Die Mädchen zuckten unwillkürlich zurück. Seine Pupillen waren ganz klein, so dass fast nur das Weiß des Augapfels zu sehen war.

“Wir wollen Ihnen helfen”, rief Marilyn auf Englisch, denn beide sprachen kein Spanisch. “Verstehen Sie? Sie waren ohnmächtig.”

Aber der Mann schien sie nicht zu hören. Er starrte sie nur aus weit aufgerissenen Augen an.

“Lass uns lieber auf die anderen warten”, sagte Marilyn eindringlich und legte Jennifer eine Hand auf die Schulter. “Der ist betrunken oder so. Wo bleiben die nur?” Sie sah sich um, aber im wehenden Sand konnte sie nichts erkennen.

Abrupt setze der Mann sich auf und wäre fast gegen Jennifer geknallt. “Bleiben Sie liegen, unsere Freunde kommen gleich.” Sie hob abwehrend die Arme.

Der Fremde starrte sie unverwandt mit diesem leeren Blick an. Sein Mund stand offen, aber der Sand schien ihm nichts auszumachen. Seine Bewegungen waren fahrig, fast wie bei einem Roboter. Dann streckte er plötzlich eine Hand aus und griff nach Jennifer, packte sie am Arm.

Beide Mädchen schrieen, Marilyn versuchte sie wegzuziehen, Jennifer mühte sich, ihren Arm freizubekommen. Aber er hielt sie fest, stierte sie aus seinen fast weißen Augen an. Sie bekam richtig Angst, fasste eine Faust Sand und schleuderte sie ihm ins Gesicht. Er reagierte nicht, blinzelte nicht einmal. Marilyn rief um Hilfe und zog an ihrer Freundin. Jennifer hatte nicht genügend Platz, um zu treten. Der Griff tat weh und sie bekam Panik. Tränen standen in ihren Augen. Ihre Hand tastete durch den Sand. Bekam einen Riemen zu fassen. Ihre Tasche? Die Kühlbox? Sie krallte die Finger hinein, holte weit aus und schlug zu. Mit einem dumpfen Laut knallte die Box gegen den Schädel des Mannes. Doch der zeigte keinerlei Reaktion. Kein Schrei, keine Regung, nicht mal ein Zucken. Nur dieser brennende Blick!

Marilyn zerrte noch einmal an ihr und endlich kam sie mit einem schmerzhaften Ruck frei. Die Mädchen stolperten nach hinten, landeten im Sand und rappelten sich sofort wieder auf. “Weg! Weg! Weg!” Sie hasteten fort, zurück in Richtung Meer. Jennifers Herz schlug bis zum Hals, in ihrem Arm pochte es. Sie wusste nicht, ob sie es selbst war, die schrie oder Marilyn. Hauptsache, sie kamen weg von dem unheimlichen Fremden.

Dann plötzlichen waren da Flo, Dot und Audrey. “Gott sei Dank! Da ist ein Verrückter, direkt vor uns! Der hat uns angegriffen!” Sie redete auf Deutsch, was nur Flo und die Zwillinge verstanden.

“Beruhige dich!” Flo hielt sein Board so, dass er es notfalls als Schild verwenden konnte. “Ist er hinter euch her? Ich sehe nichts.”

Jennifer zitterte am ganzen Körper und Audrey legte einen Arm um sie. “Ich weiß nicht. Er muss da vorne sein.”

“Er lag im Sand und wir haben ihn umgedreht, damit er nicht erstickt, und dabei ist er wach geworden und hat nach Jennifer gegriffen.” Marilyn war außer Atem, aber der erste Schock war vorüber. “Der ist bestimmt betrunken!”

“Dann gehen wir lieber einen Bogen”, schlug Dot vor. “Es ist nicht mehr weit.”

Erschreckt stellte Jennifer fest: “Meine Tasche liegt noch da vorne. Da ist alles drin – mein Handy, mein Geld, einfach alles!”

Dot und Flo sahen sich einen Moment an. “Okay, wir schauen kurz nach. Ihr bleibt hinter uns. Aber zu fünft wird es schon gehen.” Die Jungs wankten voran.

“Das ist total unheimlich”, flüsterte Marilyn und hielt Jennifers Hand. Hinter dem Klagen des Windes hörten sie das Donnern des Meeres. Vermutlich waren sie weit und breit die einzigen Leute, die bei diesem Unwetter noch am Strand waren. Und der Verrückte!

“Hier ist die Kühlbox!” Floh hielt sie in die Höhe.

Für einen Moment verkrampfte Jennifer sich. Das war die Stelle, sie konnte den aufgewühlten Sand erkennen. Und da war auch ihre Tasche. Erleichtert hob sie diese auf. Von dem Fremden keine Spur. “Er ist weg …”

“Egal, lasst uns abhauen.” Dot drängte sie vorwärts. Raus aus den sandpeitschenden Böen. Sie blieben nun dicht beisammen, bis sie die Straße hinter dem Strand erreichten. Jennifer rechnete jeden Moment damit, den Mann mit seinen weißen Augen aus dem Sandsturm auftauchen zu sehen, doch niemand begegnete ihnen.

“Ich brauche eine Verschnaufpause!” Audrey setzte sich in den Schutz einer zerbröckelnden Mauer, die anderen ließen sich neben ihr nieder. Im Licht der Straßenlaterne sahen sie die Sandschwaden über sich hinwegziehen, aber der Sturm verlor ein Stück vom Meer entfernt bereits an Kraft.

“Ich bin überall voll Sand.” Dot wischte sich mit seinem Handtuch über Gesicht und Haare. In seinem Mund knirschte es bei jedem Wort.

“Ich erst. Und mir tut alles weh.” Marilyn lehnte sich erschöpft zurück.

“Alles in Ordnung mit dir, Jennifer?”, wollte Audrey wissen und sah die Freundin an.

Das schwarzhaarige Mädchen sah beinahe blond aus mit dem ganzen Sand im Haar. Sie war in sich zusammengesunken und rieb sich immer wieder den schmerzenden Arm. “Es geht schon. Gibt bestimmt einen blauen Fleck. Ich habe mich nur unglaublich erschreckt.” Sie fühlte sich ausgelaugt und elend. Wenn Jennifer die Augen schloss, erschien das Gesicht des Mannes vor ihr. Die dunkle Haut mit einer Kruste aus Sand, das kurze Haar, der offenstehende Mund, aus dem kein Laut gekommen war und dieser starre Blick. Diese leblosen Augen! Sie schauderte.

“Der muss den ganzen Tag gesoffen haben und ist dann am Strand eingeschlafen. Oder er hatte einen Sonnenstich”, meinte Audrey.

“Der war nicht betrunken, Schwesterherz, der war völlig zugedröhnt.” Marilyn legte Jennifer die Hand auf die Schulter. “Jetzt ist ja alles okay.”

“Hey, schaut mal!” Flo schob die Kühlbox zwischen sie, die er aufgehoben hatte. “Da, an der Ecke!” Er wischte über eine Stelle, an der Sand am bunten Plastikgehäuse klebte und hielt die Hand hoch. An seinen Fingern schimmerte es rot. “Das ist …”

“Blut!”, rief Audrey.

“Mann, dem musst du ordentlich eine verpasst haben”, bemerkte Marilyn. “Aber es hat ihm gar nichts ausgemacht.”

Jennifer sah finster drein: “Das konnte es auch nicht. Er hat gar nichts gespürt.”

“Quatsch. Das spürst du, wenn du so eine Ecke an den Kopf bekommst.”

“Der nicht!”, flüsterte Jennifer und die Freunde beugten sich näher, um sie zu verstehen. “Der fühlte nichts. Das war ein Zombie !”