Hard-boiled, Veröffentlichungen

Ein böser Spuk (Krimi aus dem Totenreich 2)

Ein böser Spuk

Krimi aus dem Totenreich 2

Ein Fall von Ghostnapping ruft Roger Cross auf den Plan. Die Tochter des einflussreichen Orson Hays wurde entführt und der Mann damit zur Zielscheibe einer Erpressung. Denn Hays ist Leiter des Räummitteldienstes, jener Einheit, die gefährliches Treibgut aus dem Verkehr zieht. Instabiles Treibgut aus der Welt der Lebenden, das gelegentlich verheerende Explosionen verursacht. Cross nimmt die Spur der Verfolger auf. Drehen Terroristen im Totenreich durch? Oder steckt etwas noch Perfideres dahinter? Denn selbst die Toten haben ihre Schwächen und riskieren ihre Seelen für einen teuflischen Trip!


Dies & Das

  • Ursprünglicher Titel: Böser Spuk
  • Ein böser Spuk entstand 2002 und war für das Krimimagazin Criminalis 2 geplant, da Der große Sprung zu lang war. Schließlich wurde aber doch der erste Teil veröffentlicht.
  • Bonus: Kriminalgeschichte Puppenmord
  • Über die Krimis aus dem Totenreich

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Fakten

Krimi aus dem Totenreich 2
Kurzgeschichte
Genre: Hard-boiled, Horror
Verlag: Kindle / Neobooks
Juli 2012
ASIN: B008NKSOLG


Leseprobe

“Nur weil Du ein verdammtes Loch in der Brust hast, musst Du Dir noch lange nicht einbilden, den großen Macker markieren zu können. Ein Loch ist hier nämlich gar nichts Besonderes. Überhaupt nicht.”

Ich versetzte dem Mann einen Schlag und er taumelte zurück. Es war im Affekt, kein wirklicher Angriff. Was er über das Loch in meiner Brust gesagt hatte, machte mich wütend. Klar gab es im Schattenreich genügend Leute mit einem oder mehreren Löchern im Ektoplasmaleib. Pistolen, Gewehre, Schrottflinten – eine ganze Kollektion Todesursache Schusswaffe.

Aber nur wenige besaßen so ein präzises Loch wie ich. Exakt durch das Herz. Durch den Rücken und vorne wieder heraus. Der Größe und dem Knall nach war es eine Luger gewesen.

Auf mein Loch ließ ich nichts kommen.

“Kannst Du oder willst Du mir nicht helfen, Jacky?”

Jacky Conelly war ein dünnes Bübchen, blutleer und klapprig, mit verschlagenen, aber leblosen Augen. Er war einmal Botenjunge für einen Drogendealer gewesen, bis ihm ein Konkurrent fein säuberlich die Kehle durchtrennt hatte. Jetzt drang aus der Wunde ein kränkliches Pfeifen, wenn er mit seiner röchelnden Stimme antwortete. “Probiere es mal bei Fats Stalker, der wäre der einzige, der verrückt genug ist, um seine fetten Finger auf solches Zeug zu legen.”

“Vielleicht ist das alles nur heiße Luft. Dieses dämliche Gerede von Spuk geht mir ohnehin auf die Nerven.”

“Mag sein, aber ein Hammer wäre es schon. Weißt Du, wo Du Fats finden kannst?”

Ich beobachtete nachdenklich den schmalen langen Schnitt an seinem Hals.

“Death Canyon – wenn ich nicht irre, hat er da eine Villa.”

“Viel Glück, Cross. Du wirst es brauchen.”

Rückblende. Warum ich den ekelhaften Fats Stalker überhaupt suchte? Warum ich raus zum Death Canyon fuhr, in diesen verfluchten Landstrich, in dem selbst ein Geist Muffensausen bekam?

Als Privatdetektiv macht man manchmal solche Sachen. Vor allem, wenn es sich dabei um einen Auftrag handelte.

Ich war für Orson Hays unterwegs, einem großen Tier in der Stadt. Er war Leiter des Räummitteldienstes. Ganz oben in der Hierarchie.

Er und seine Jungs sammelten Gefahrengut ein. Gegenstände, die auf seltsamen Kanälen aus der Welt der Lebenden ins Reich der Toten gelangt waren. Im Gegensatz zu dem anderen Zeug hier, dass in der Welt der Lebenden aufgebraucht oder zerstört worden war, und dann erst ins Totenreich wechselte, stammte das Gefahrengut unverbraucht aus der Lebendwelt – nur eben verseucht. Wohlmöglich machte dieses Strandgut kleinere Umwege über die Albtraumregion der menschlichen Träume. Man wusste es nicht genau. Und wenn es schließlich hier ankam, war es verflucht instabil. Ein falscher Schritt damit und bumm.

Vor zwei Jahren hat ein Idiot eine alte Kommode in der Wüste gefunden und sie in seinem Apartment aufgestellt. Als er eines Tages zu heftig an einer klemmenden Lade rüttelte, explodierte sie. Das Stadtviertel sah heute noch arg mitgenommen aus. Der Kerl selbst konnte zwar nicht sterben, aber das Gefahrengut hatte ihn einfach zerfetzt. Sein sprechender Kopf war eine Attraktion.

Ich besuchte Hays in seinem winzigen Häuschen auf einem der Hügel vor der Stadt. Hier herrschte ewiger, regnerischer Herbst. Es war eine Südstaatenvilla von der Größe eines Fußballfeldes.

Und gut in Schuss für die Verhältnisse hier drüben. Nur ein paar lose Dachschindeln, morsche Stufen, quietschende Fensterläden und abblätternde Farbschichten.

Er selbst empfing mich und geleitete mich in den Salon.

“Ich habe dem Personal bis auf weiteres frei gegeben, wir sind ganz ungestört.”

Hays war stämmig, mit riesigen Pranken und enorm großen Füßen. Sein Gesicht musste einst hübsch gewesen sein, aber jetzt war es nur noch eine Ansammlung von Schnitten und Prellungen. Zudem wies sein Hals einen leichten Knick auf.

“Nehmen Sie Platz, Mr. Cross. Freut mich, dass Sie kommen konnten.”

Ich ließ mich in einen weichen, durchgewetzten Sessel fallen, aus dessen Nähten das Futter quoll. Aber er war echt. Ein Stück aus der Lebendwelt. Ich strich ehrfurchtsvoll darüber.

An den Wänden reihte sich Buch an Buch, allesamt abgegriffene, zerschlissene Ausgaben, einige davon schimmelig.

Er selbst blieb stehen.

“Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. Hays?”

“Sie wissen, dass ich ein wichtiger Mann bin, Mr. Cross. Und wichtige Männer dürfen eines nicht sein: erpressbar.”

Ich nickte zustimmend.

“Nicht, dass ich mir etwas hätte zu Schulden kommen lassen. Bestimmt nicht.”

“Bestimmt nicht”, echote ich mit sanfter Ironie. Wir wussten beide, dass nicht alles, was als Gefahrengut aufgelesen wurde, auch wirklich verseucht war. Und Gegenstände aus der Welt der Sterblichen standen immer hoch im Kurs bei den Toten.

Er musterte mich einen Moment wütend, schluckte heftig und überging meine Antwort.

“Trotzdem hat man mich … am Sack.” Er spie die Worte förmlich aus. “Das mag etwas deftig klingen, Mr. Cross, aber so ist es. Und so darf es nicht sein.”

Er ging nachdenklich vor mir auf und ab.

Ich lehnte mich zurück und wartete. Der Sessel selbst war schon einen Besuch wert gewesen. Man fühlte sich darin beinahe … lebendig.

Hays schwieg einen Moment, dann rückte er mit seiner Geschichte heraus: “Man hat meine Tochter entführt. Und jetzt droht man, ihr etwas anzutun, wenn ich mich nicht kooperativ verhalte.”

“Ihre Tochter?” Ich beugte mich interessiert vor. Die wenigsten Toten hier im Schattenreich hatten Familie.

“Deborah, meine Tochter. Wir starben beide beim selben Autounfall.” Er strich sich flüchtig über das zerschundene Gesicht.

Hays hatte wohl seine Windschutzscheibe geküsst. Und seine Tochter mit ihm.

“Sind Sie sicher, dass sie entführt wurde?”

“Natürlich. Die Entführer haben bereits Kontakt zu mir aufgenommen.”

Ghostnapping war nicht sonderlich verbreitet. Kaum ein Toter hatte Familie oder Freunde, die Lösegeld zahlen würden. Und einen von uns einzusperren, erforderte einige Erfahrung.

“Seit wann wird sie festgehalten?”

“Seid vorgestern Nacht. Sie ging aus und kam nicht zurück.”

“Was ist mit der Polizei?”

“Bleibt aus dem Spiel. Die können nicht dicht halten. Niemand darf wissen, dass ich verletzbar bin.” Er ließ ungesagt, dass es hier keine richtige Polizeibehörde gab. Es gab nicht einmal eine Stadtverwaltung, abgesehen von der Einreisebehörde. Die Cops hier waren zu Lebzeiten Polizisten gewesen und versuchten sich nun auch als Tote in ihrem Job. Sie waren unorganisiert und oftmals korrupt.

“Deshalb also ein diskreter Privatdetektiv.”

“So ist es.”

“Was wollen die Erpresser?”

Hays hielt inne und fingerte nervös an einem besonders langen Schnitt an seiner Wange.

“Gefahrengut”, presste er hervor.

Ich pfiff leise: “Terroristen?”

“Das dachte ich zuerst, glaube es aber nicht mehr. Terrorismus ist hier keine gute Beschäftigung.”

Da hatte er Recht. Im Schattenreich war bereits alles brüchig und zerfallen. Es lohnte kaum, es zu zerstören. Mit wenigen Ausnahmen gab es keine öffentlichen Institutionen, keinen Saat, dem man schaden konnte.

“Sondern?”

“Spuk.”

“Spuk? So ein Unsinn. Das ist nur ein Gerücht, eine Spinnerei”, antwortete ich.

“Vielleicht. Aber jemand könnte versuchen, es herzustellen.”

“Und dazu benötigt er Gefahrengut.”

“Zumindest nimmt man das an.”

Ich schüttelte den Kopf. Spuk war der Name für eine Wunderdroge, die von Toten konsumierbar sein sollte. Nichts als ein Gerücht. Ein Mythos gleich dem Stein der Weisen. Auf den Straßen war niemals auch nur ein Körnchen Spuk aufgetaucht.

Aber immer wieder kursierten wilde Spekulationen darüber, wie man es herstellen konnte. Eine davon besagte, dass man die Essenz von Gefahrengut dafür benötigte. Alchemistisches Geschwätz.

“Ich teile Ihre Meinung nicht unbedingt, Mr. Hays. Wer sollte so verrückt und habgierig sein, um mit etwas wie Gefahrengut zu experimentieren? Die Auswirkungen sind allgemein bekannt.”

“Das sollen Sie herausfinden.”

“Haben Sie irgendeinen Anhaltspunkt?”

“Keinen, leider.”

“Das ist dürftig.”

“Versuchen Sie es trotzdem, Mr. Cross. Ich bitte Sie.”

Ich zuckte die Schultern. Warum nicht? Seine Tochter war entführt worden. Ob von Terroristen oder verrückten Drogenschiebern, spielte keine Rolle. Einem Mythos wie Spuk hinter her zu jagen, hätte ich abgelehnt. Aber einen Entführer zur Strecke zu bringen, war durchaus akzeptabel. Zudem war es nützlich, für Hays zu arbeiten. Ich meine, erfolgreich zu arbeiten. Das würde meinem Ruf nicht gerade schaden.

“In Ordnung. Ich werde sehen, was ich herausfinden kann.”

“Danke, Mr. Cross.”

“Wann melden sich die Entführer wieder?”

“Das haben sie nicht gesagt. Ich werde hier auf ihren Anruf warten.”

“Und wenn ich nichts herausfinde, werden Sie dann bezahlen?”

Er antwortete nicht. Seine Entscheidung war noch nicht gefallen. Entweder seine Karriere oder seine Tochter.

Ich ließ ihn mit diesem Gewissenskonflikt allein.