Jugendkrimi, Veröffentlichungen

Puppentanz – Peggy & Fatty (Schwarzlichter)

Puppentanz

Anmerkung: Ein weiteres Bonuskapitel, angesetzt nach den Ereignissen aus Puppentanz.

“Lief doch gut, oder nicht?”

“Ich weiß nicht … Die können mich nicht leiden, denke ich.” Fatty steckte sich eine Kippe zwischen die Lippen und suchte nach seinem Feuerzeug. Es war nicht da. Vermutlich hatte er es im Restaurant vergessen, auf der Fensterbank im Klo, als er hastig eine gequarzt hatte. “Hast du Feuer?”

Peggy wühlte einige Zeit in ihrer Handtasche, ehe sie Streichhölzer finden konnte. “Hier, behalt sie.”

Er nickte nur und zündete die Zigarette an. Maritim Hotel stand auf der Schachtel. Bestimmt vom Sonntagbrunch der Familie Heisler. Missmutig steckte er sie ein.

“Glaub ich nicht”, griff Peggy das Thema wieder auf. Sie hatte sich bei ihm untergehakt, während sie in Richtung Friesenplatz schlenderten. “Meine Eltern sind immer so, wenn ich einen Freund mitbringe. Inquisitorisch, zumindest mein Vater. Aber es geht mittlerweile, bei Sissy war das viel schlimmer.”

“Na, immerhin war deine Schwester nicht auch noch dabei.”

“Was denn? Du kennst sie doch gar nicht. Sissy ist total korrekt.”

“Das meine ich auch nicht. Ist bloß, dass ich so Familie nicht abkann. Bei mir gibt es nur meine Mutter und die würde im Leben nicht mit dir und mir essen wollen.”

“Wir sind harmlos, echt.” Sie grinste. “Meine Eltern sind gar nicht so bieder, wie du vielleicht glaubst. Meine Mutter war mal voll die Hippie.”

“Meine Mutter war nur krank.” Zumindest, so weit er zurückdenken konnte. Aber erst, seit sein Vater vor etlichen Jahren abgehauen war, beherrschten Arzttermine und Medikamente ihr Leben. Und der Fernseher.

“Och … Ich will dich doch nur aufmuntern. Meine Mutter fand dich nett, da bin ich sicher. Und mein Papa hat ein bisschen Mühe, über seinen Uni-Kram hinauszugucken.”

“Er hat mich gefragt, ob ich musiziere!”

“So drückt er sich halt gerne aus. Immerhin wollte er darüber mit dir ins Gespräch kommen.”

“Mann, ich spiele in ner Band, ich musiziere nicht!”

“Das meint er doch.” Peggy musste schmunzeln. Als ihr Vater musizieren gesagt hatte, war Fatty fast die Gabel aus der Hand gefallen.

Einige Zeit gingen sie schweigend weiter. Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter, aber Fatty zerrte immer wieder an seinem Hemd. “Alles klar?”

“Dieses scheiß Hemd juckt. Außerdem ist der Kragen zu eng”, knurrte er.

“Du siehst verdammt sexy darin aus.”

“Ich sehe aus wie ne gepresste Leberwurst. Das Ding hatte ich zuletzt auf der Beerdigung unserer Nachbarin an.”

“Quatsch, du bist ein Hemdentyp. Dir fehlt nur noch eine lockere Krawatte.”

“Immerhin hatte ich noch ein Hemd, ansonsten hätten die mich gar nicht ins Restaurant gelassen.” Peggys Eltern hatten sie zum Abendessen bei einem teuren Italiener eingeladen. So ein richtig edler Laden mit öligen Kellnern, Kerzen auf den Tischen, teurem Wein. War eigentlich das erste Mal, dass er so schick ausgegangen war. Ansonsten gab es für ihn nur Archer’s oder die Frittenbude um die Ecke.

“So dramatisch war es doch nicht.”

“Alles wie geleckt und total steif. Die meisten Gäste waren schon fast tot. Die würden umfallen, wenn wir denen Green Day vorspielten.”

“Wir waren auch nur zum Essen da, nicht wegen der Leute. Und die Pasta war genial.”

Fatty zuckte die Schultern. Seine Pizza war wirklich gut gewesen, zugegeben. Aber wie sollte man die genießen, wenn um einen herum nur reiche Spießer saßen? Gab zu viele Regeln, die man da beachten musste. Vor allem, wenn man auch noch mit Peggys Eltern am Tisch saß. Er hatte nicht mal Kölsch getrunken, nur Cola und ein Gläschen Wein. Geredet hatten sie über allerlei belangloses Zeug. Frau Heisler von irgendeiner Reise von der sie gerade zurückgekommen war. Kenia? Kongo? Fatty hatte gar nicht richtig zugehört. Wen interessierte der Mist?

Sie kamen an einem Baugerüst vorbei, das die Fassade eines Hauses verdeckte. Peggy hielt interessiert inne. “Bin gespannt, was da reinkommt.”

“Nen Geschäft.”

“Glaube ich nicht. Die Scheiben sind komisch, wie aus Kristall. Unten drin ist ein Empfangssaal mit Tresen und Aufzug. Vielleicht eine Firma. Da oben hängt auch schon die Fassung für ein Neonschild. Sieht aus wie ein Berg vor einem Stern.”

“Was auch immer. Haben wir heute noch was vor?” Fatty zog sie enger an sich, eine Hand auf ihrer Hüfte.

“Nicht das, was du meinst. Meine Eltern dürften mittlerweile zu Hause sein.”

Auf die konnte er getrost verzichten. “Wir könnten heimlich in eurem Pool baden. Nackt …” Warm genug war es.

“Das kriegen die doch mit. Solche Sachen mag mein Vater auch nicht, der Pool ist sein Refugium. Sonst hätte ich schon längst eine Poolparty gefeiert.”

Fatty war enttäuscht. Nachdem er sich durch das Essen gequält hatte, hätte er doch eine kleine Belohnung verdient. “War ja nur ein Vorschlag …”

“Du kannst morgen vorbeikommen. Hey, hör auf damit.” Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm.

Unbewusst hatte er an dem Pflaster an seiner Schläfe gezupft, um etwas vom Schorf darunter abzukratzen.

“Das gibt sonst eine Narbe.”

“Weiß nicht, vielleicht will ich ja eine”, erwiderte er ein wenig unwirsch. Wäre doch cool. Und sie würde ihn ewig an seine Dummheit erinnern.

“Also ich muss die dann häufiger sehen als du – daher lass es. Ich bin nicht wild darauf, jedes Mal daran denken zu müssen, dass man dir fast den Schädel eingeschlagen hat. Ich freue mich schon, wenn das Pflaster endlich weg ist.”

“Ist ja schon gut …” Er steckt die Hand in die Hosentasche.

“Sorry.” Sie küsste ihn sanft. “Ich wollte nicht so klingen. Du weißt, wie froh ich bin, dass dein Holzkopf noch ganz ist.”

Der Holzkopf hat mich sechshundert Euro gekostet, dachte er bitter. “Haben deine Alten irgendwas dazu gesagt? Ich meine, zu der ganzen Sache?”

“Klar. Am Anfang waren sie ziemlich aufgeregt, vor allem meine Mutter. Ist wohl normal. Aber es gab keine Vorhaltungen, wir hätten dies oder das anders machen sollen. Und sie waren froh, dass es dir gut ging.”

Fatty brummte leise. Seine Mutter war ziemlich hysterisch gewesen, zumindest am Anfang. Ein paar Mal hatte sie geweint und ihn angefleht, sie nicht auch noch zu verlassen. Aber bald darauf hatte sie sich schon wieder nur für sich selbst interessiert und ihre Besuche eingestellt. War ihm nur recht. Nach zwei Gesprächen mit der Polizei und einem Psychodoktor hatte man ihn endgültig in Ruhe gelassen. Nur Peggy besuchte ihn und holte ihn am Entlassungstag ab.

Wie so oft in den letzten Wochen kam er wieder ins Grübeln. Natürlich war es gut, dass er heil aus der Sache rausgekommen war. Hätte auch schlimmer sein können, als nur ne Gehirnerschütterung und ein paar Tage Krankenhaus. Aber, wenn er darüber nachdachte, dann stand er jetzt vor einem Haufen Trümmer. Die Kohle war weg, seine Crane im Eimer. Ohne Asche konnte er das Mofa nicht wieder flott machen lassen. Dann war da überhaupt diese Sache mit Angela. Die ihn irgendwie an Peggy erinnerte. Oder umgekehrt. Jedenfalls musste er in Gegenwart seiner Freundin immer wieder an Angela denken. Und als wäre das alles nicht genug, musste er gerade auch noch umziehen. Von Köln nach Bergisch Gladbach. Das ging ihm am meisten auf den Senkel. Schule und Noten zählte er schon gar nicht mehr dazu – das war einfach Dauermist.

Peggy zog ihn am Arm: “Hast du gehört?”

“Klar”, antwortete er automatisch. Stimmte aber nicht.

“Und, was meinst du?”

Fatty kniff die Augen zusammen. Er hatte keine Ahnung, um was ging. “Ich weiß nicht …”, erwiderte er ausweichend.

Sie sah ihn enttäuscht an: “Vielleicht überlegst du es dir noch mal.”

“Mach ich bestimmt.” Er grinste.

“Da kommt meine Bahn. Wir sehen uns morgen, ja? Wie wäre es mit einem Abschiedskuss?”

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Aber wieder drifteten seine Gedanken ab. Das lag an Peggys Parfüm. Mittlerweile konnte er das nicht mehr leiden. Nur wusste er nicht, wie er ihr das sagen sollte. Wie brachte man ein Mädchen dazu, ihr Lieblingsparfüm zu wechseln? Indem er ein neues kaufte. Nur, wo von?

Er winkte ihr nach, als die Straßenbahn davonfuhr, dann rammte er seine Hände in die Taschen und schlurfte davon.

(Juni 2008)