Computerspiele

Computerspiel: The Park

Hereinspaziert! Hereinspaziert! Ein Besuch im Atlantic Island Park garantiert jede Menge Spaß und Spannung. Sind Sie mutig genug für einen wahnwitzige Wirbel im Octotron? Oder doch lieber eine Runde Autoscooter? Zu wild? Dann eine idyllische Reise durch die Märchengrotte? Oder genießen Sie die Aussicht vom Riesenrad! Dazu Zuckerwatte und ein Foto mit unserem knuffigen Maskottchen. Immer nur herein, herein! Lassen Sie sich von den Attraktionen des Atlantic Island Parks verzaubern … Und hören Sie nicht auf das abergläubische Geschwätz der Leute. Es gibt keinen Fluch! Unfälle passieren nun mal überall. Die verschwundenen Kinder sind einfach nur weggelaufen. Und der Aussetzer unseres Maskottchens war ein einmaliger Zwischenfall. Eispickel sind seitdem im Park verboten. Die Sache hinter dem Süßwarenstand? Ich bitte Sie, alles nur Gerüchte. Hier, nehmen Sie Zuckerwatte auf Kosten des Hauses. Und eine Freikarte. Wir schließen gleich, aber die ein oder andere Attraktion können Sie noch erleben. Vielleicht haben Sie den Park sogar ganz für sich allein – das ist doch großartig!

There is something special about the entrance to an amusement park. A line drawn between the real world and the world of whimsey within.

Vergnügungsparks sind jene magischen Orte, an denen man den Alltag vergessen kann. An dem man Abtauchen kann in phantastische Welten, in Abenteuer und Unbeschwertheit. Nervenkitzel und Vergnügen liegen dicht beisammen. Vielleicht fasst man Mut und wagt sich an ein waghalsiges Achterbahnabenteuer, oder wird wieder Kind mit einem Gang durch den Märchenpark. Egal was, alles geschieht in der Sicherheit des Parks. Man weiß, was einen erwartet. Die Pfade sind vorgegeben, die Wagen werden sicher auf Schienen geführt, auch die Geisterbahn hat einen Ausgang, an dem das Tageslicht schimmert. Ein behütetes, TÜV-geprüftes Abenteuer. Ein paar Stunden Magie, einen Tag den Stress und die Sorgen vergessen. Held sein. Wieder Kind sein.

Wenn ein solch sicherer Ort kippt, wenn die vertrauten Abläufe nicht mehr sicher sind, wenn sich in die Unbeschwertheit unterschwellige Bedrohung mischt, erfüllt uns das mit einem ganz besonderen Grauen. Wie mit dem psychopathischen Clown, der uns doch eigentlich zum Lachen bringen sollte, statt uns mit der Axt zu jagen. Genau das passiert in The Park. Das Vertraute entpuppt sich als durchlässig, brüchig. In der künstlichen, kitschigen Welt des Vergnügungsparks mit den knallbunten Attraktionen, dem knuffigen Maskottchen, den spaßigen Pappaufstellern und Verkaufsständen, lauert etwas unter der Oberfläche. Etwas Unheilvolles. Etwas Grauenhaftes. Eine Fahrt im Märchentunnel nimmt eine Wendung zum Schlechten. Die Tour in der Achterbahn hält plötzlich andere Schrecken bereit. Zuckerwatte sollte man auf Teufel komm raus von niemandem annehmen. Und das Grauen im Horrorhaus nimmt ganz neue Qualitäten an.

Überraschen dürfte das wenig, denn die Savage Coast, der Küstenabschnitt, an dem der Atlantic Island Park gebaut wurde, ist ein Ort voll schrecklicher Geheimnisse. Übernatürliche Ereignisse geben sich hier die Klinke in die Hand – egal ob Untote aus der Zeit des Wilden Westens, Geister aus der Mythologie der indianischen Ureinwohner, Serienkiller in den knallbunten Siebzigern, uralte Verschwörungen oder kosmisches Grauen – das mit Blut getränkte Land hält alles bereit. Und wird dreißig Jahre nach den tragischen Geschehnissen in The Park Schauplatz für den dauernden Kampf gegen das Böse, nämlich im MMO The Secret World. Jenem Online-Rollenspiel der norwegischen Entwicklerschmiede Funcom, das sich reichlich an dem Grauen aus der Feder Lovecrafts, Poes und Kings bedient. Und mit seiner Mischung aus Grusel, Horror, kosmischen Schrecken und uralten Verschwörungen fesselt. Zwar wird auch in The Secret World massiv gekämpft, aber weite Teile der Geschichte bekommt der Spieler nicht in der Gruppe, sondern als Einzelner erzählt. Zudem erwarten ihn eine ganze Ladung von Aufgaben, die sich nur mit gehörig Grips und Internetrecherche lösen lassen. So war der Schritt, eine der beliebtesten Lokalitäten aus dem TSW-Universum für ein Singleplayer-Spiel zu adaptieren, nicht zu abwegig. Wobei der Begriff Spiel gerade im Nachklang zu TSW der falsche Begriff sein könnte. Denn in The Park wird weder gekämpft, noch gerätselt. Es gibt keine Aufgaben zu erledigen, keine Belohnungen einzusammeln. Stattdessen ist es eine interaktive Reise durch die dunkle Geschichte des Vergnügungsparks, noch mehr aber in die Vergangenheit der Protagonistin. Das ist Lorraine, Mutter eines kleinen Jungen namens Callum. Ihr Sohn verschwindet zu Beginn des Spiels im abendlichen Atlantic Island Park und sie begibt sich auf die Suche nach ihm. Und während sie verzweifelt die leere Anlage durchstreift, offenbart sich Stück für Stück ihre tragische Familiengeschichte, die eng mit den Dramen des Vergnügungsparks verknüpft ist. Doch die Suche nach ihrem Sohn kippt schnell in eine Reise in ihr innerstes Selbst. Die schrecklichen Ereignisse im Park bilden den Rahmen für den blanken Horror, der in Lorraine brodelt. Die Fahrgeschäfte werden zur Projektionsfläche ihrer eigenen Abgründe, der gesamte Park zum Mindscape einer gepeinigten Seele. Im Horrorhaus geht es schließlich immer tiefer hinab in die Dunkelheit.

Man kann The Park vorwerfen, zu wenig zu bieten. Keine Herausforderungen, keine Action, keine Rätsel. Keine Entscheidungen, die zu treffen sind, keine Welt, die man frei erkunden kann. Stattdessen folgt man der vorgegebenen Spur Callums, sammelt Fragment aus der Vergangenheit ein – Zeitungsartikel, interne Anweisungen, Fotografien, Tagebucheinträge, Krankenakten. Verdichtet sie zu einem verstörenden Bild. Das mag im ersten Moment monoton und begrenzt wirken, aber dann sollte man sich in Erinnerung rufen, dass The Park nicht spielen, sondern eine Geschichte erzählen will. Und das tut das Spiel in dichter Atmosphäre. Das funktionierte schon ausgezeichnet in Max Payne 2 mit seinem verlassenen Themenpark zu Address Unknown, oder bei einem Besuch in der Hall of Heroes in Bioshock Infinite – ganze Level ohne Kampf.

Oder man bemängelt die kurze Spielzeit, das ganze lässt sich in nicht einmal einer Stunde durchlaufen. Wenn man es eilig hat. Aber die Geschichte braucht Raum, sich zu entfalten. Setzt man die verschiedenen Hinweise und Rückblenden zusammen, kann man sich ganz in The Park verlieren. Wie in einem Film. Der Horror liegt in The Park nicht so sehr in Schreckmomenten, sondern in der sich mit jedem Schritt offenbarenden Spirale abwärts. In der Vermischung der blutigen Vergangenheit der Anlage in Verknüpfung mit dem TSW-Universum, und Lorraines innerem Zerfall.

In my heart and mind, I always return to Atlantic Island Park.

The Park ist ein Experiment. Eine interaktive Story. Ein Psychotrip. Und funktioniert, mit der richtigen Erwartungshaltung, sehr gut. Die dichte Atmosphäre aus sich immer dunkler zusammensetzenden Puzzlestücken zieht einen hinab und lässt über die zum Teil vorhersehbare Geschichte und die eingeschränkte Handlungsfreiheit hinwegsehen. Reizvoll ist zudem die Verwurzelung in einer vom Übernatürlichen und Horror durchdrungen Spielwelt. So kehrt man als Spieler von The Secret World sehr gerne in den Park zurück, um den Geschichten um Gründer Nathaniel Winter, Maskottchen Chad the Chipmunk und den Bogeyman noch etwas weiter zu folgen. (Und in der Endsequenz durch die Biene im Glas noch eine nette Referenz an das Mutterspiel zu haben). Aber auch ohne den MMO-Hintergrund ist der Atlantic Island Park auf jeden Fall einen Besuch wert. Am besten allein. Nachts.

www.theparkgame.com

www.thesecretworld.com

Originaltitel: The Park

Jahr: 2015

Studio: Funcom